Nach jedem Blutrausch das gleiche makabre Ritual
Amerika blickt im Fernsehen in die Gesichter der am Boden zerstörten
Angehörigen. Reporter befeuern Mitleid. Politiker äußern Trauer und
Entsetzen. Am Ende lässt der Mann im Weißen Haus halbmast flaggen,
geißelt die sinnlose Gewalt, wirbt um Rückbesinnung auf amerikanische
Werte bis zum nächsten Amoklauf. Echtes Innehalten,spürbare
Gegenmaßnahmen: Fehlanzeige.Die Hasenfüßigkeit der Politik gegenüber
der Waffenlobby erhält jedes Mal den Status quo. Mehr noch: Die Angst
vor jenen, die damit drohen, den bis zr Unkenntlichkeit verbogenen
Mythos von „Freiheit gleich Waffenbesitz“an der Wahlurne bis zur
letzten Patrone zu verteidigen, hat zu einer Realitätsverdrängung
geführt, die beispiellos ist unter zivilisierten Industrienationen.
Kanada und Australien haben nach Katastrophen wie der in Newtown
entschlossen gehandelt und einen spürbaren Rückgang bei den
Todeszahlen erreicht. Amerika findet sich damit ab, dass pro Jahr
Zehntausende durch Schusswaffengewalt sterben. Warum das so ist? Weil
es in Amerika unter dem Strich immer noch leichter ist, legal ein
halbautomatisches Mordwerkzeug zu erwerben, als eine Kreditkarte zu
bekommen oder einen Mietvertrag. Ein grotesk überreguliertes Land
leistet sich ausgerechnet Laisser-faire, wenn es um Leben und Tod
geht. Wie lange noch? Dass die Genug-ist-genug-Rufe seit Newtown
lauter als sonst klingen, dass sich Politiker aus der Ecke wagen, die
in anderen Fällen die Augen vor der Katastrophe verschlossen hielten,
ist allein der Zahl und dem Alter der Opfer geschuldet. Nicht den
Ursachen einer durch und durch gewalttätigen Gesellschaft, die an
ihrer Militanz langsam erstickt. Schon ab heute werden die
Waffenverkäufe wieder landesweit nach oben schnellen. Aus Angst,
Washington könnte doch Ernst machen und den Waffenverkauf
reglementieren. Vor der Wahl hätte sich Obama mit einer
entschlossenen Strategie für weniger Waffen ins Knie geschossen und
seinem Widersacher Mitt Romney den Sieg verschafft. Jetzt, ohne
Wiederwahlsorgen, gibt es keinen Grund mehr für Passivität, Wegducken
und Durchwursteln. Mag sein, dass die Verfassung jedem Staatsbürger
das Grundrecht zugesteht, „Waffen zu tragen und zu besitzen“. Mag
sein, dass die Hälfte der Amerikaner trotz aller Amokläufe schärfere
Waffengesetze ablehnt. Führungskraft beweist sich, indem man das
Richtige tut, wenn der Wind von vorne weht. Bis 2004 waren
halbautomatische Gewehre verboten, und in den Magazinen durften
maximal zehn Schuss sein. Diesen Bann schnellstens wieder gesetzlich
in Kraft zu setzen und die Hürden für den Waffenerwerb drastisch nach
oben zu schrauben ist das Mindeste, was ein verantwortungsvoller
Kongress zu tun hat. Besonnenen Waffenbesitzern, die über die Mündung
ihres Pistolenlaufs hinausschauen können, müsste das einleuchten.
Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung.
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