So oder so: Deutschland wird grüner. Dafür sorgt
der Atomausstieg. Und das ist auch gut so. Wenn eine Gesellschaft
sich nach vier Jahrzehnten zum Teil erbitterten Streits der Lager auf
ein Ziel verständigt, dann darf man davon ausgehen, dass der Streit
nötig war, das Ziel richtig ist und der Weg dahin nun erfolgreich
sein wird. Aber was sind die Schlussfolgerungen aus der neuen
Gemeinsamkeit der Demokraten? Wer sind die Sieger, wer Verlierer? Vor
allem: Wer sind die Gewinner von morgen? Der Bundeskanzlerin muss man
bescheinigen, dass sie ein riskantes Thema wegräumt. Aber: Hatte
nicht Angela Merkel erst kürzlich den rot-grünen Ausstieg rückgängig
gemacht? War sie nicht vor dem Druck der Atom-Lobby zurückgewichen
und hatte ihren Umweltminister Norbert Röttgen, den sie jetzt feiert,
öffentlich abgekanzelt? Einerlei. Nun also wendet sich Merkel wieder
ihrer Strategie der Präsidialkanzlerin zu und lässt statt Röttgen und
den Grünen ihren Koalitionspartner FDP und deren Parteichef,
Wirtschaftsminister Philip Rösler, im Regen stehen. Von den
konservativen, ehemals unionsnahen und -treuen Wirtschaftskreisen
ganz zu schweigen. Das mag ein Publikum auf dem evangelischen
Kirchentag bejubeln. Die Stimmung auf dem traditionellen Flügel der
Union aber darf man ohne Übertreibung als verheerend bezeichnen.
Merkel spaltet ihre Partei und verliert am meisten Gefolgschaft im
eigenen Lager. Auf der Seite der Sieger stehen die Grünen. Der
Atomausstieg ist ihr Thema, ihr erster Bundesumweltminister Jürgen
Trittin hat ihn ausgehandelt. Aber was nun? Womit mobilisiert eine
Anti-AKW-Partei, eine „Dagegen-Partei“ für etwas? Wie tut sie das,
wenn ihre Anliegen als erledigt gelten? Wie erklärt sie, dass
Bedenken der Parteivorsitzenden Claudia Roth und des Fraktionschefs
Trittin gegen ein Ja zu Merkels Plänen vom grünen Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann und dem anderen Parteichef Cem Özdemir
weggewischt werden? Wie steht sie dazu, dass die Folge des Ausstiegs
vorübergehend ein Ausbau von Kohle- und Gaskraft sein wird? Auf
Parteitagen mögen die Delegierten noch – wie zuletzt in NRW – frei
über solche „Dinosaurier“-Technologien spotten. Tatsächlich aber sind
die so genannten „Realos“ von solchem „Fundi“-Denken schon wieder mal
einige Grundsätze weit entfernt. Das zeigt nicht nur, aber auch der
gar nicht mehr so abweisende Umgang der Regierungsgrünen in NRW mit
der Zukunft von Kohle und Gas. Ach ja: Was ist eigentlich mit der SPD
in der Debatte? Die Sozialdemokratie hat die Hoffnung, dass mit dem
Ende des Atomzeitalters – frei nach Dahrendorf – nun auch das Ende
des grünen Zeitalters gekommen sei. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore
Kraft setzt jedenfalls seit einiger Zeit darauf, dass mit der
Rückkehr der Industriepolitik die Sozialdemokratie ein Comeback
feiern kann. Der Atomausstieg gibt der SPD also auch Hoffnung.
Immerhin. Wie auch immer: Die Republik wird eine andere werden mit
dem Ende der Atomkraft. Und wir werden danach andere Parteien und
Koalitionen brauchen und haben. So oder so.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de