Die womöglich neue, alte Große Koalition hat
ihren ersten Praxistest bestanden. Mit ihrer Mehrheit setzten Union
und SPD im Bundestag den Familiennachzug für Flüchtlinge mit
eingeschränktem Schutzstatus bis zum Sommer aus. Ab dem 1. August
können dann pro Monat bis zu 1.000 Kinder und Ehepartner zu ihren
Familien nach Deutschland kommen, so sie denn dafür „humanitäre
Gründe“ geltend machen können. Doch das bloße Zustandekommen einer
Mehrheit für ein Gesetz ist noch kein Erfolg. Der Inhalt und die
Vermarktung dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit rechtfertigen erst
recht nicht, sich selbst zu beglückwünschen. Die Frage des
Familiennachzugs wurde mit so viel Eifer und Borniertheit zur
Zukunftsfrage des Landes stilisiert, dass man jetzt nur verblüfft auf
das mickrige Resultat blicken kann. Das Bohei, das um dieses Gesetz
gemacht wurde, ist gewiss kein Indiz für seinen Nutzen. Die
Neuregelung löst kein einziges Problem – keines von Einwanderern,
keines von Union und SPD und keines des Landes. Union und SPD
schaffen mit der Neuregelung das Recht auf Familienzusammenführung
für die betroffenen Flüchtlinge endgültig ab. Da hat die CSU mit
ihrer Lesart völlig recht. Schon die Eingruppierung der seit 2016
nach Deutschland gekommenen Syrer und Iraker als Flüchtlinge mit
subsidiärem Schutzstatus war eine politisch motivierte
Ermessensentscheidung. Nun wird auch ein Rechtsanspruch dieser Gruppe
zur Ermessensfrage degradiert. Schonungslos zeigt sich, wie eine mit
Ängsten und Ressentiments befeuerte öffentliche Debatte den
Rechtsstaat verformt. Die von der SPD herausverhandelten 1.000 Visa
für Härtefälle sind nichts weiter als ein Deckmäntelchen für die
unansehnlichen Folgen des gesellschaftlichen Rechtsrucks. Union und
SPD tun aber auch sich selbst keinen Gefallen. Den Kompromiss stellte
die jeweilige Seite als Erfolg dar. Das lässt nichts Gutes erahnen
für die weitere Zusammenarbeit. Zudem ist es kein Zeichen von
Souveränität und politischer Vernunft, wenn sich die Koalitionäre
ihre Prioritäten von der Konkurrenz, der AfD, diktieren lassen. Die
Debatte um den Familiennachzug ist irreführend. Sie verstellt den
Blick auf grundlegende Mängel des Zusammenhalts in der
auseinanderdriftenden Gesellschaft. Mängel, die Deutsche wie
Nichtdeutsche betreffen. Schön wäre, wenn Union und SPD den Eifer,
mit dem sie um den Familiennachzug stritten, auch in Fragen um
würdige Gehälter, Wohnraum und Bildungschancen aufbringen würden.
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