Begriffe zu erobern und zu prägen gehört zum
kleinen Einmaleins der Politik. Das gilt ganz besonders für heftig
umstrittene Felder. Zum Beispiel die Gesundheitspolitik. Da begegnet
dem Interessenten auf der Startseite des Bundesministers der Begriff
„Gesundheitsreform“. Das hört sich nach Modernität, Problemlösung und
Tatkraft an. Doch wo Reform draufsteht, ist keine Reform drin. Die
Erhöhung – nicht „Anpassung“, wie es heißt – des Beitragssatzes ist
keine Reform, sondern nichts anderes als ein Griff in die Tasche der
Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Verdienen die jetzt vorgeschlagenen
Sparmaßnahmen den Begriff Reform? Da wird das Vergütungsniveau der
hausarztzentrierten Versorgung begrenzt. War das denn bisher nach
oben offen? Konnten die Hausärzte nach Belieben hinlangen? Natürlich
nicht. Das ist keine Reform, sondern eine Verzweiflungstat, um den
unersättlichen Geist verbandsgesteuerter Hausarztverträge wieder in
die Flasche zu bekommen. Ist die beschlossene Absenkung der Preise
für Impfstoffe auf das europäische Durchschnittsniveau eine Reform?
Wohl eher das Eingeständnis der Tatsache, dass sich die Politik
bisher von Big-Pharma fahrlässig hat abzocken lassen. Letztes
Beispiel: Die Verwaltungskosten der Krankenkassen dürfen in den
nächsten beiden Jahren nicht steigen. Auch das ist keine Reform,
sondern ein gut gemeinter, aber dennoch ziemlich dreister Eingriff
der Politik in die Selbstverwaltung der Sozialversicherung. All diese
Pflästerchen reichen bei weitem nicht, um die Finanzprobleme der
gesetzlichen Krankenversicherung zu lösen, die durch die Veränderung
im Bevölkerungsaufbau und den schnellen und teuren
medizinisch-technischen Fortschritt entstehen. Dazu ist weiterhin
eine Reform notwendig, die den Namen verdient hat. Was Philipp Rösler
jetzt neben den Einsparungen zur Finanzierung des Gesundheitssystems
vorgeschlagen hat, ist aber auch nur eine pragmatische
Weiterentwicklung des Fondsmodells der großen Koalition. Nur mit viel
Phantasie könnte man den Arbeitnehmeranteil als Einstieg in die
Gesundheitsprämie interpretieren. Nicht neu ist die Aufkündigung der
Solidarität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, nicht neu sind
die Zusatzbeiträge mit Sozialausgleich, nicht neu ist die
Teilfinanzierung durch das Steuersystem. Reform? Fehlanzeige, neuer
Wein in alten Schläuchen. Dabei bestünde weiterhin die Möglichkeit,
zur Finanzierung des Systems die beiden Modelle der
Bürgerversicherung und der Gesundheitsprämie zu einer Bürgerpauschale
zu versöhnen: Gesetzliche und private Krankenversicherung müssten zu
einer Versicherung für alle zusammengeführt werden. Dieser, unter
Ökonomen weithin unumstrittene, gemeinsame Versicherungsmarkt wäre
eben nicht die Einheitsversicherung, wie der politische Kampfbegriff
seiner Gegner lautet. Außerdem müssen alle Bürger und alle
Einkommensarten in die Finanzierung einbezogen werden. Wenn dann noch
ineffiziente Strukturen wie zum Beispiel die ambulante und stationäre
Versorgung angegangen würden, dann, erst dann, hätte der Begriff der
Reform einen Inhalt.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de