Es rumort in der deutschen Innenpolitik. Besser
gesagt: Es rummst. Kein Tag, an dem nicht neue Hiobsbotschaften
durchs Land rauschen. Vier Erklärungsversuche nach Hamburgs Votum
gegen eine Schulreform: 1. Abgehoben. Die politischen Führungen in
der Bundesrepublik verlieren zunehmend an Substanz. Das ist kein
Phänomen einer Partei. Gerade der Ausgang des Bürgerbegehrens in
Hamburg zeigt das: Hier haben alle in der Bürgerschaft vertretenen
Parteien für die Reform des Schulsystems geworben. Aber „das Volk“,
die Bürger Hamburgs, haben alle dabei nicht mehr im Auge gehabt. Auch
in NRW will die neue rot-grüne Regierung das Schulsystem grundlegend
verändern. Politisch ist das – so zeigen Hamburgs Erfahrungen und die
Reaktion der NRW-CDU – riskant. Experimente in den ohnehin
verunsicherten Schulen wollen weder Lehrer, noch Eltern, noch gar die
Schüler. Es wird deshalb interessant zu beobachten sein, welche
Auswirkungen das Hamburger Votum auf die junge rot-grüne Koalition in
NRW hat. 2. Führung. Richtig ist, dass die politische Klasse in
Deutschland Führung zeigen muss. Wir dürfen von unseren
Volksvertretern verlangen, dass sie die aus ihrer Sicht richtige
Politik formulieren und dafür Mehrheiten verlangen. Dabei haben sie
in Hamburg versagt. 3. Mündige Bürger. Die Parteien wirken laut
Grundgesetz an der politischen Willensbildung mit. Dies und eine
latente Furcht vor dem Furor des Stammtischs sorgen in Deutschland
seit Jahren dafür, dass die Politik Bürgerbeteiligungen nur sehr
zurückhaltend zulässt. Hamburg zeigt, dass dieses Politikverständnis
an ein Ende gelangt ist. Verantwortungsbewusste Bürger haben
abgestimmt. Sie waren nicht destruktiv. Sie haben ideologisch
überfrachteten Reformversuchen Grenzen aufgezeigt. Nicht mehr, nicht
weniger. 4. Ausgereizt. Die schwarz-grüne Option hat Grenzen. Vor
allem die Grünen, aber auch CDU und die Bundeskanzlerin mögen das
bedauern, aber der Vorgang in Hamburg zeigt: Die Öffnung der Lager
fordert einen hohen Preis für die Beteiligten. Die SPD hat ihn unter
Gerhard Schröder und in der Großen Koalition bezahlt. Jetzt steht die
Union vor ähnlichen Auszehrungsproblemen. Die Mitte ist eine
Schimäre, ein Trugbild. Die Wähler belohnen Klarheit. 5.
Generationenfrage: Die Generation der 50-Jährigen, die jetzt
politische Verantwortung übernehmen muss, hat ihren Eignungstest
bislang nicht bestanden. Sie flieht aus Frustration ins Private, wie
Roland Koch, sie sucht ihr Heil in Europa, wie Günther Oettinger, sie
weicht aus in die Repräsentation, wie Christian Wulff, oder sie
kneift – wie jetzt Ole von Beust. Das reicht noch nicht für einen
Eintrag ins Geschichtsbuch, wie ihn Konrad Adenauer, Helmut Schmidt,
Helmut Kohl oder auch Schröder sich erarbeitet haben. Politik ist
Arbeit, Frustration und Aufwand, aber auch Führung, Verantwortung und
Zielstrebigkeit. Die 50-Jährigen in Deutschland müssen das noch
beweisen. Das ist vielleicht der bitterste Befund.
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