Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Amerika nach der Wahl Vier neue Jahre für Obama THOMAS SEIM

Deutschland freut sich. Der Sympathieträger des
amerikanischen Wahlkampfs, Barack Obama, bleibt vier weitere Jahre im
Amt. Das entspricht dem Wunsch von fast 90 Prozent der Deutschen.
Alles gut gelaufen also? Für Deutschland? Für Europa? Für den Frieden
und die Entwicklung der Welt? Sicher ist: Wir müssen uns nicht groß
umgewöhnen – zunächst. Jedenfalls nicht bei dem wichtigsten
politischen Gestalter und mächtigsten Mann der westlichen Hemisphäre.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA waren und sind
stabil. Der Friedensnobelpreisträger wird – auch das entspricht den
Wünschen der Mehrheit unseres Landes – im Umgang mit Konflikten in
der Welt auch behutsamer sein als der Herausforderer. Das hat sich
bisang in der Strategie des Weißen Hauses gegenüber Syrien gezeigt.
Und auch im Krisenmanagement mit dem Iran gibt es auf der Seite der
Republikaner eher mehr als weniger Scharfmacher. Dieses
Politik-Verständnis der Obama-Administration hilft uns hier im
Zentrum Europas, in dem wir nun fast 70 Jahre in Frieden leben und
keine Rückkehr eines Kalten Krieges oder gar eines heißen Konflikts
mit unseren Nachbarn im Osten, in Rußland vor allem, wollen. Und: Die
Ökologie profitiert natürlich. Vielleicht hat diese Wahl uns gelehrt,
dass der in den USA von Bill Clintons Berater Dick Morris erfundene
Grundsatz, dass die Wirtschaft die Wahlen entscheidet, nicht mehr
wirkt. Vielleicht hat dieser Wahlausgang nach dem Hurrikan Sandy uns
gelehrt, dass heute dieser Satz für die Planung von Wahlsiegen anders
gilt: „Es ist die Ökologie, Dummkopf!“ Diese Überlebensfrage unseres
Jahrhunderts steht jedenfalls bei dem wieder gewählten Präsidenten
höher in der Agenda als man das bei dem so genannten
Turbo-Kapitalisten Mitt Romney erwarten durfte. Obama hat dieses
Thema früh und richtig erkannt und darf als einer der Motoren für
einen ökologischen Umbau gelten. Im Rahmen amerikanischen
Politik-Verständnisses allerdings. Das alles gefällt uns Deutschen
und das ist auch gut so. Wir haben nach auch schwierigen Zeiten mit
heftigen Attacken gegen den amerikanischen Weg der Durchsetzung von
Interessen im vergangenen Jahrhundert weitgehend unseren Frieden
gemacht und Gefallen gefunden an diesem auch faszinierenden
Kontinent. Für alles das steht bei uns Obama. Deshalb mögen wir ihn.
Deshalb ist die Mehrheit der Deutschen froh, dass er in einer zweiten
Amtszeit beweisen kann, ob er was und was er wirklich kann. Das wird
er auch müssen, denn so toll ist die Bilanz seiner ersten nicht. Ob
das den Europäern so gefallen kann, ist indes durchaus fraglich. In
Obamas neuer Administration wird es eine Außenministerin Hillary
Clinton nicht mehr geben. Auch Timothy Geithner, Finanzminister, wird
ausscheiden. Beide gelten als die europäischsten aller US-Minister.
Ähnlich wie Ex-Verteidigungsminister Robert Gates, der bereits vor
einem Jahr ausschied. Dass die Nachfolger noch so europäisch
orientiert sind wie diese drei, ist durchaus fraglich. Gut möglich
gar, dass Mitt Romney viel europäischer aufgestellt war. Die neue
Obama-Administration wird ihren Politik-Schwerpunkt eher auf den
Pazifik-Raum und das Ringen mit China um die Vorherrschaft dort
richten. Was Europa davon haben oder wie sehr es darunter leiden
wird, ist eine der offenen Fragen, deren Antwort wir abwarten müssen.
Für Deutschland mag darin sogar eine Chance liegen. Wenn die USA in
ihrem atlantischen Rücken eine funktionierende EU brauchen – und das
werden sie – dann könnte Deutschland dafür der Garant sein. Ein
Zentrum, das die wankelmütigen Staaten der Peripherie, wie es zum
Beispiel Großbritannien ist, in der EU zusammen hält – und die EU als
Ganzes an der Seite der USA. Das wäre eine gute Rolle für die
Bundesrepublik. Die Bilanz des Wiedergewählten ist im Übrigen so toll
nicht, dass man nicht auf Defizite aufmerksam machen müsste: Die
Wirtschaft ist in einem desolaten Zustand und stottert als Motor der
Weltwirtschaft. Das Verbrechen des Guantanamo-Gefangenenlagers mit
unmenschlichen und illegalen Verhörmethoden gibt es immer noch,
obwohl Obama versprochen hatte, es zu schließen. Der Krieg in Irak
ist zu Ende, aber in Afghanistan stehen noch immer die Truppen. Die
Herausforderungen für die nächsten vier Jahre sind nicht geringer
geworden. Sie geben Obama Gelegenheit, sich die deutschen und
europäischen Vorschusslorbeeren durch gutes Regieren im zweiten
Anlauf zu verdienen. So wie den Friedensnobelpreis. Darauf wollen wir
hoffen.

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