Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Ansehen des Arztberufes Hippokrates im Abseits PETER STUCKHARD

Das Ansehen des Arztberufes rutscht in
Deutschland immer tiefer in die Krise. Aus dem Sumpf des
Transplantationsskandals hat sich in Leipzig eine zusätzliche neue
Blüte entfaltet, selbst konservative Politiker wie der
gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, hegen offenbar
inzwischen einen Korruptions-Generalverdacht gegen die Ärzteschaft
und drohen mit einer Verschärfung des Strafrechts. Patienten klagen
über vermeintlich raffgierige Ärzte, die ihnen unter dem putzigen
Namen „IGel“ unnötige Leistungen gegen Bezahlung aufdrängen. Die
Standesvertretungen der Ärzte reagieren reflexhaft in gewohnter
Weise: alles nur hergeholt, eine, so die Bundesärztekammer, gezielte
Kampagne der Politik. Das ist reichlich einfach. Stichwort
Korruption: So ganz traut die Kassenärztliche Bundesvereinigung ihren
Pappenheimern ja offenbar selbst nicht. Sie bietet seit kurzem den
niedergelassenen Ärzten unter der verniedlichenden Überschrift
„Richtig kooperieren“ eine 21-seitige Broschüre mit rechtlichen
Vorschriften und „zahlreichen Praxisbeispielen“ an. Eine wahre
Fundgrube aus dem Erfahrungsschatz der ärztlichen Selbstverwaltung
für alle, die sowieso schon Böses denken. Andererseits: Aus den
letzten Jahren ist in Westfalen-Lippe kein Fall bekannt, in dem einem
Arzt zum Beispiel die kassenärztliche Zulassung oder gar die
Berufserlaubnis entzogen worden wäre. Wenn es aber so ist, dass der
Korruptionsverdacht doch eher nebulös bleibt, woher rührt dann die
Vertrauenskrise? Der Hauptgrund liegt darin, dass bei einem Teil der
Ärzteschaft – wohlgemerkt: nicht bei der Ärzteschaft – der
hippokratische Eid ins Abseits geraten ist: Nicht das Wohl der
Kranken, sondern das Wohl des eigenen Portemonnaies ist der Motor des
Handelns dieser Mediziner. Sie sind es jedoch, die das Bild des
Berufsstandes in der Öffentlichkeit prägen: eben nicht die klaglos
mit höchstem Einsatz und überschaubarem Einkommen arbeitende
Landärztin, sondern der Facharzt in der guten Wohngegend, der den
Patienten fragwürdige Leistungen aufdrängt und spätestens ab
Freitagmittag nicht mehr zu erreichen ist. Natürlich spielen auch
Systemzwänge eine Rolle. Der Gesundheitssektor und seine Akteure
werden dem Publikum seit vielen Jahren nicht als weltweit einmalige
Errungenschaft, sondern fast ausschließlich unter
Kostengesichtspunkten vorgestellt. Wer könnte gegensteuern? Zum
Beispiel die Bundesärztekammer als Wahrerin der ethischen Grundlagen
des Arztberufes. Sie spielt derzeit eine eher klägliche Rolle. Statt
daran zu erinnern, was den Kern ärztlicher Tätigkeit ausmacht und
dass der Beruf des Arztes besonders viel mit Berufung zu tun hat,
unterwirft sich Ärztechef Frank Montgomery dem Diktat der Ökonomie,
ruft stereotyp nach mehr Geld und handelt weiterhin wie der
Funktionär des Marburger Bundes, als der er seinen Posten errungen
hat. Da muss es dann wohl die Imagekampagne richten, die die
Kassenärztliche Bundesvereinigung starten will. Die Kosten: 15
Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren.

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