Diesen Aufenthalt in OWL werden Dutzende
Reisende nicht gerne in Erinnerung behalten. Völlig erschöpft von
einer Fahrt in einem auf mehr als 50 Grad Celsius aufgeheizten ICE
kollabierten sie und mussten – teils auf dem Bahnsteig des
Bielefelder Hauptbahnhofs, teils in Kliniken – medizinisch behandelt
werden. Grund: Die Klimaanlage des Zuges arbeitet nur bis zu einer
Außentemperatur von 32 Grad Celsius zuverlässig. Rund 50 ICE-Züge der
Serie 2 hatten in der Folge ähnliche Probleme. Ein strukturelles
Defizit in einem Konzern mit international gut 250.000 Mitarbeitern,
der sich selbst das Leitbild gegeben hat: „Wir werden das weltweit
führende Mobilitäts- und Logistikunternehmen.“ Von diesem Ziel ist
die Deutsche Bahn AG offensichtlich noch Welten entfernt. Denn auch
ohne die Effekte des Klimawandels wären Klimaanlagen, die auf maximal
32 Grad Außentemperatur ausgelegt sind, schon unterdimensioniert, wie
der Kieler Klimaforscher Mojib Latif feststellt. Glaubt man Experten,
werden sich die Hitzewellen in den nächsten Jahrzehnten häufen.
Immerhin: Die Bahn kündigt an, den von den jüngsten Ereignissen
betroffenen Fahrgästen Entschädigungen in Form von Reisegutscheinen
zukommen zu lassen. Sie vergisst dabei aber auch nicht zu erwähnen,
dass es sich dabei um „freiwillige Zusatzleistungen“ handelt, die
„über die generellen Fahrgastrechte“ hinausgingen. „Unser
Wirtschaftssystem ist ausgerichtet auf gnadenlose Gewinnmaximierung“,
sagt Latif. Die Bahn habe alles auf dem Altar des Börsengangs
geopfert. 500 Millionen Euro Dividende zieht der Staat pro Jahr aus
der Deutschen Bahn AG. Geld, das ein Dienstleistungsriese, der einen
Investitionsstau aufzuholen hat, anders ausgeben sollte. Viel zu heiß
ist offenbar auch der Politik das Thema „Folgen des Klimawandels“.
Experten wie Latif fordern eine neue industrielle Revolution. Sie
haben recht. In der schwarz-gelben Bundesregierung ist nach wie vor
keine klare Strategie erkennbar, wie die Gesellschaft ohne die
endlichen fossilen Brennstoffe wie Kohle oder Kernenergie auskommen
kann. Längst wäre es angesagt, viel mehr auf den Ausbau regenerativer
Energien zu setzen, ein Netz von Solartankstellen aufzubauen und
dafür zu sorgen, dass Sonnenenergie auch über große Entfernungen
möglichst verlustfrei übertragen werden kann. „Der Klimawandel kommt
bestimmt“, sagt auch der Wissenschaftler Ulrich Franck vom
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. So gibt es viel zu
tun für die Stadtplaner: Sie müssten die Versiegelung der Fläche
wieder zurückfahren, dafür sorgen, dass über Magistralen, die als
Kaltluftschneisen dienen können, wieder Luft zum Atmen in die
Ballungsräume kommt. Wo Brachflächen wieder genutzt werden sollen,
heißt es, öfter auch Grüngürtel anzulegen. So stehen die Probleme bei
der Bahn stellvertretend für Fehlentwicklungen, die Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft mit Kraft und kühlem Kopf angehen
sollten.
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