Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Dioxinskandal Kriminelle Energie JOHANN VOLLMER

Am Ende ist alles wieder nur ein bedauerlicher
Unfall gewesen. Die Litanei der ertappten Panscher in der
Lebensmittelbranche ist immer die gleiche. Da war dann eine alte
Maschine defekt oder eine neue verunreinigt. „Leicht erhöhte Werte“
habe es gegeben, „gesundheitlich unbedenklich“, und natürlich wird
„schonungslos“ und „mit Hochdruck“ aufgeklärt. Nicht anders im
aktuellen Dioxinskandal: keine Rede davon, dass hier zwei Fliegen mit
einer Klappe geschlagen wurden. Dass die eine Firma ihren teuren
Sondermüll billig entsorgt, dass die andere die verseuchten
Industriefette als günstige Energieträger zusetzt. Keine Rede davon,
dass systematisch die toxischen Stoffe untergemischt und dass
Nutztiere legal als Zwischenlager missbraucht werden, solange man nur
die gesetzlichen Grenzwerte einhält. Und wir empören uns: Wie können
die so etwas tun? Moral hilft an dieser Stelle aber nicht weiter. Man
braucht doch nicht zu glauben, dass hier mehr Gewissen und weniger
kriminelle Energie vorhanden ist als in allen anderen
Wirtschaftsbereichen, nur weil es sich um Lebensmittel handelt. Als
wäre die industrielle Nahrungsmittelproduktion ein Refugium der
Gutmenschen. Tatsache ist auch, dass sich die Verbraucher nirgendwo
so bereitwillig täuschen lassen wie in der Lebensmittelwerbung. Wenn
uns eine rotwangige Bäuerin auf der Frühlingswiese den Fruchtjoghurt
zusammenrührt oder auf der Eierpackung das Huhn im Sonnenuntergang
Körner pickt, dann legen wir uns jedes Mal ein Stück schöne heile
Welt in den Einkaufswagen. Und wir wollen so gerne daran glauben. Wie
es auf maschinell durchrationalisierten Mast- und Legebetrieben
aussieht, auf denen kaum noch ein Mensch arbeitet, davon macht sich
niemand ein Bild. Früher galt die Redensart „Was der Bauer nicht
kennt, das frisst er nicht“. Heute gilt wohl eher: Was der Bauer
fressen lässt, das kennt er nicht. Nicht Qualität und
Verlässlichkeit, sondern Kostendruck und Profitmaximierung sind in
der industriellen Landwirtschaft die geltenden Kriterien. Da greift
man dann schon mal nach dem Billigfutter und fragt nicht weiter nach.
Und dem Bauernverband fällt nicht mehr ein, als für die gesperrten
Höfe eine Entschädigung von den Verantwortlichen zu fordern, als
nähme er nicht selbst im Verbund mit der Futtermittelindustrie das
pervertierte System der Lebensmittelerzeugung billigend in Kauf. Es
gibt die Alternative, und sie ist lange bekannt. Am 22. Januar geht
in Berlin erstmals ein Bündnis von Bäuerinnen und Bauern, Vertretern
der Verbraucher, Tierschützer und Kirchen für eine
bäuerlich-ökologische Landwirtschaft auf die Straße. Sie fordern
keine Entschädigung, sondern etwas viel Wesentlicheres: den Erhalt
ihrer Arbeits- und Lebensform. Es wäre wünschenswert, dass all die
Verbraucher, die jetzt lautstark über das Dioxin klagen, sich
einreihen. Wir haben es selbst in der Hand, ob weiterhin gelten soll:
Nach dem Skandal ist vor dem Skandal.

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