Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Hannelore Kraft ist Ministerpräsidentin Das Abenteuer beginnt PETER JANSEN, DÜSSELDORF

Zwei Monate nach der Landtagswahl beginnt das
große politische Abenteuer in NRW. SPD und Grüne regieren, sie haben
ohne Unterstützung, aber mit Billigung der Linkspartei Hannelore
Kraft zur ersten Ministerpräsidentin gewählt. Voller hochfliegender
Pläne und guter Absichten, aber ohne eigene Mehrheit machen sie sich
jetzt ans Werk. Kraft, die erste Frau an der Regierungsspitze in NRW,
hat in den anstrengenden Monaten seit dem 9. Mai an Statur, an
Ansehen, an Respekt auch bei ihren politischen Gegnern gewonnen.
Souverän hat sie ihre Partei durch die aufreibenden
Sondierungsgespräche mit Grünen, Linken, CDU und FDP geführt.
Leichtfertigkeit kann man ihr wirklich nicht vorwerfen.
Möglicherweise wäre ihr eine andere Konstellation am Ende lieber
gewesen, ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP. Aber eine solche
Ampelkoalition scheiterte an den unvereinbaren Positionen und der
tiefen Abneigung zwischen Grün und Gelb. Jetzt geht Kraft ein Wagnis
ein, das es in den westlichen Bundesländern noch nie gegeben hat. Sie
regiert ohne Mehrheit, auch wenn ihrer Koalition nur eine Stimme
fehlt. Sie riskiert bei jedem Gesetz und jeder Initiative das
Scheitern. Wenn sich CDU, FDP und Linke zu einer unheiligen Allianz
der Neinsager zusammenfinden, laufen alle rot-grünen Pläne ins Leere.
Bei den ersten angekündigten Veränderungen ist das nicht zu
befürchten. Abschaffung von Studiengebühren und Kopfnoten, neues
Vergaberecht, mehr Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, mehr
Handlungsfreiheit für die Stadtwerke – das alles sind Vorhaben, die
die Linken zwar nicht in vollem Umfang billigen, die sie aber nicht
scheitern lassen werden. Die Stunde der Wahrheit schlägt für das
rot-grüne Experiment, wenn es um den Haushalt für 2011 geht. Die
ersten Ankündigungen gehen in eine Richtung, die auch eine
rot-rot-grüne Regierung eingeschlagen hätte: Für die Einlösung aller
Wahlversprechen werden die Schulden des Landes drastisch erhöht.
Weitsichtig ist das nicht. Allein die steigende Zinslast schränkt die
Handlungsfähigkeit des Landes ein. Ob SPD und Grüne der Linken so
weit entgegenkommen, dass die sogar den Haushalt passieren lässt,
muss dennoch bezweifelt werden. Wenn Rot-Grün Ernst macht mit der
angekündigten Konsolidierung, kommen sie an Einsparungen und
Personalabbau nicht vorbei – Maßnahmen, die die Linke in ihrer
derzeitigen Verfassung strikt ablehnt. Auf gelegentliche
Unterstützung von CDU und FDP, die Kraft mit dem Wort von der
„Koalition der Einladung“ beschwört, kann sie nicht hoffen. Bei der
Rückabwicklung ihrer eigenen Politik können und werden die Parteien
der alten Koalition nicht mitmachen. Bei ihnen stehen die Zeichen auf
Opposition total. Wie sehr die ungewissen Zukunftsaussichten die
Arbeit belasten, musste Kraft bei der Bildung ihres Kabinetts
erfahren. Einige, die sie gern nach Düsseldorf geholt hätte, sagten
ab, weil ihnen die Chance auf eine langfristige Beschäftigung zu
gering ist.

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