Genugtuung ist das Wort des Tages, nicht Jubel
oder Freude. So verständlich die Reaktionen in Washington und New
York mit Freudenfeiern ganz normaler Menschen über den Tod Osama bin
Ladens sind, so ist Ausgelassenheit doch die falsche Reaktion.
Erstens ist mit dem Tod des El-Kaida-Chefs die Terrorismusgefahr
nicht wirklich vorüber. Zu vielköpfig ist die Hydra des Terrors
inzwischen, zu weit verzweigt das Netzwerk von verblendeten
islamistischen Bombenbastlern, zu eigenständig die einzelnen
Organisationen und Untergruppierungen. Bin Laden war für El Kaida nur
noch Symbolfigur, wenn auch eine sehr wichtige. Der Terrorfürst war
nicht mehr derjenige – und schon gar nicht der Einzige -, der die
Befehle für weitere Anschläge gab. Zweitens ist der Unterschied, ja
der Gegensatz zwischen islamischer und westlicher Welt nach wie vor
vorhanden. Darin ist weiterhin eine der wichtigsten Ursachen für den
weltweiten islamistischen Terror zu suchen. Auch wenn die
islamistische Gewalt ihre Opfer häufig unter Muslimen fand. Dieser
tiefe Graben hat zur Folge, dass Hassprediger immer wieder
opferbereite Selbstmordattentäter werden rekrutieren können. Drittens
muss sich der zivilisierte, aufgeklärte Mensch fragen, ob ein
Strafverfahren gegen Bin Laden nicht die bessere Alternative gewesen
wäre. Es ist schwer zu beurteilen, ob eine Festnahme operativ machbar
gewesen wäre, weil die Umstände der Aktion nicht in allen
Einzelheiten und vermutlich nicht wahrheitsgemäß bekannt sind. Es
drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass die US-Elitesoldaten gar
nicht darauf aus waren, ihre Zielperson lebend zu fassen, um sie
einem ordentlichen Gericht zuzuführen. Kein Grund zur Freude, denn so
besteht die Gefahr, dass der Verbrecher für seine Jünger zum Märtyrer
wird und deren Gewaltbereitschaft nur noch mehr anstachelt – Rache
für Osama! Dennoch gibt es Hoffnung für eine günstige Entwicklung,
weshalb der Tod Bin Ladens vielleicht doch eine wichtige historische
Zäsur markieren könnte. Jedenfalls wenn die USA nun eine kluge
Strategie anwenden und den Kriegspfad verlassen. Weil ihr
berechtigtes Bedürfnis nach Genugtuung, vielleicht auch nach Rache,
nun befriedigt wurde, können die Amerikaner ihre Politik gegenüber
dem Islam insgesamt überdenken. Sie könnten ihre Nahostpolitik
sachlicher gestalten. Großer Pluspunkt: In vielen islamisch geprägten
Ländern treffen sie nach den Umstürzen der vergangenen Monate auf
andere Gegenüber. Sollte es den Vereinigten Staaten und ihren
europäischen Verbündeten gelingen, die Demokratiebewegungen im Nahen
Osten zu unterstützen, ohne sie in ihrem eigenen Sinne beeinflussen
und dominieren zu wollen, könnte dem Terror langfristig der Boden
entzogen werden. US-Präsident Barack Obama – immerhin
Friedensnobelpreisträger – hat in seiner Fernsehansprache darauf
hingewiesen, dass Amerika keinen Krieg gegen den Islam führt. Eine
kluge Formulierung. Doch trotz der Hoffnung wird es noch viele
Rückschläge geben.
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