Vieles, was gesagt wird in diesen Tagen, wenn
Deutsche und Türken mit- oder besser übereinander reden, ist nur
schwer zu ertragen. Entsetzlich zu beobachten, wie ein einst
freundschaftliches Verhältnis sich ins Gegenteil verkehrt. Und es war
freundschaftlich. Noch vor wenigen Jahren konnte man in der Türkei
eine fröhliche Vielfalt von Möglichkeiten erleben, ein tolerantes
Miteinander von Lebensstilen, Weltanschauungen, Religionen, in
Istanbul zumal, aber auch in Ankara. Selbst im Südosten des Landes,
der vom Kurdenkonflikt geprägten Krisenregion, war so etwas wie
Annäherung spürbar, Aussicht auf mehr Autonomie, auf gegenseitiges
Verständnis. Es herrschte Begeisterung für Europa, die
EU-Mitgliedschaft wurde vielfach herbeigesehnt. Recep Tayyip Erdogan,
damals in seiner ersten Amtszeit als Regierungschef, galt als
sozialer Modernisierer und erfolgreicher Wirtschaftslenker,
strenggläubig zwar, aber voller Achtung für Kemal Atatürks
Vermächtnis einer modernen Türkei: der strikten Trennung von Staat
und Religion. Nur wenige Skeptiker hielten das damals schon für
strategische Zurückhaltung, für die geschickte Tarnung eines
islamisch-fundamentalistischen Machtpolitikers. Die Türkei hat sich
verändert seitdem; wie sehr, kann man nicht nur daran erkennen, dass
kürzlich Soldatinnen der türkischen Armee das Kopftuch zur Uniform
erlaubt wurde. All das sind Bestandteile der türkischen Innenpolitik,
die auch angesichts der breiten Zustimmung für Erdogan dem bewährten
Grundsatz unserer Nichteinmischung unterliegen könnten. Nun aber
betreffen diese Entwicklungen Deutschland immer heftiger. Die
Missachtung von Grundrechten, die Einschränkung der Pressefreiheit
trifft auch deutsche Journalisten. Die Polarisierung erfasst auch
hier lebende Türken. Mit der Reaktion türkischer Regierungsmitglieder
auf Absagen von Wahlkampfauftritten, dem Vorwurf „faschistischen
Vorgehens“ an die deutsche Adresse und der Aufforderung, „Benehmen zu
lernen“, erreicht das Trauerspiel seinen vorläufigen Tiefpunkt.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht ein Ende für „die Zeit
der leisen Töne“ gekommen und droht, so werde die Annäherung der
Türkei an die Europäische Union weiter erschwert. Das allerdings ist
nun eine annähernd ebenso irrwitzige Einlassung. Eine wirkliche
Annäherung an die EU ist der Türkei jahrzehntelang auch von
europäischer Seite verweigert worden. Die Enttäuschung darüber, am
ausgestreckten Arm Europas auf Abstand gehalten zu werden, hat eine
ganze Generation von Türken geprägt. Das entschuldigt nichts, aber
erklärt vieles.
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