Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Deutschland in Zeiten der Energiewende Schneller Umdenken MATTHIAS BUNGEROTH

Die Stromverbraucher rieben sich verwundert die
Augen: „Deutschland nahe am Blackout“, titelten die Zeitungen vor
einigen Tagen. Will heißen: Um ein Haar hätten weite Teile des Landes
– zumindest zeitweise – ohne Strom dagestanden. Mitten im Winter
keine Elektroheizung, kein Licht, keine Möglichkeit jedwede Art
elektrischer Geräte zu benutzen. Unvorstellbar. Noch unvorstellbarer
als dieses Szenario ist der Fakt, dass die Bundesnetzagentur als
oberste Wächterin über die Deregulierung und Liberalisierung des
Strommarkts derzeit nicht ausschließen will, dass schlichtes Kalkül
der Stromhändler zu dieser Situation geführt hat, die die
Aufsichtsbehörde als „sehr, sehr ernst“ bezeichnet. Motto: Halte die
Kalkulation knapp, damit man nicht zuviel von dem derzeit so teuren
weil mehr denn je gefragten Strom einkaufen muss. Der Strommarkt
„eines der leistungsfähigsten und wirtschaftlich erfolgreichsten
Länder der Welt“, wie die Bundesrepublik im Bericht „Wirtschaft,
Wachstum, Wohlstand“ des Bundeswirtschaftsministeriums genannt wird,
wird zum Spielball von Spekulanten. Ein GAU in der Stromversorgung
durch diese Zockerei nicht ausgeschlossen. Ob sich hierfür letztlich
nun handfeste Beweise finden lassen oder nicht: Allein der Verdacht
eines solch fahrlässigen Handelns den die höchste Aufsichtsbehörde
äußert zeigt, in welchem Umbruch sich der Energiemarkt in Deutschland
befindet. Die Nabelschnur, an der diese Industrienation hängt, ist
dünner und brüchiger geworden. Seit Fukushima, jener
Katastrophenserie in mehreren japanischen Kernkraftwerken im März
2011, ist die Welt der Strom- und Energieversorgung in Deutschland in
Auflösung und Umbruch begriffen. So will es die von der
schwarz-gelben Koalition in Berlin ausgerufene Energiewende.
Zentraler Punkt: Bis Ende 2022 soll Deutschland vollständig auf die
Produktion von Strom aus Kernkraft verzichten. Heute werden noch etwa
23 Prozent des Stroms durch Atomkraftwerke produziert. Niemals hätten
die vier großen Energieerzeuger Eon, Vattenfall, RWE und EnBW ohne
das Unglück in Japan mit einer solchen Politikwende einer
CDU/CSU-FDP-Bundesregierung gerechnet. Doch die Branche erwacht nun
aus der Schockstarre. Es zieht mehr Wettbewerb ein auf dem
Strommarkt, die Zeiten der Energieknappheit werden dazu genutzt,
kurzfristig Profite über die Strombörse EEX in Leipzig einzufahren.
Die großen Energieverbraucher der Industrie befinden sich im Süden
und Südwesten der Republik, große alternative Energieproduzenten wie
die Offshore-Windanlagen jedoch an der Nordsee. Das Leitungsnetz ist
– insbesondere – zu Hauptlastzeiten – längst am Ende seiner
Kapazitäten angekommen. Doch auch die Politik tut sich schwer mit dem
neuen Energie-Zeitalter. Die Solarförderung schon zum 9. März um bis
zu 29 Prozent zu kürzen, ist eine Entscheidung nach dem
Hauruckverfahren. Das Umdenken muss zwar schneller gehen, aber mit
Augenmaß erfolgen und plausibel sein.

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