Das ist absolut ungewöhnlich. Erst gut die
Hälfte der Legislaturperiode im Bund ist um, und Kanzlerin Angela
Merkel steht fast im Zenit ihrer Beliebtheit: 64 Prozent Zustimmung
sind rekordverdächtig. Eigentlich hat es in Deutschland Tradition,
dass Kanzler in dieser Phase der Wahlperiode ganz unten stehen. Erst
im Wahlkampf, auf den letzten Metern, wie es so schön heißt, geben
sie Gas, streichen den Amtsbonus ein und gewinnen oft hauchdünn die
Wahl vor dem Herausforderer. So war es wiederholt bei Helmut Kohl und
auch bei Gerhard Schröder der Fall. Nicht so bei Angela Merkel, der
vielfach Unterschätzten. Sie macht in den Augen der Bürgerinnen und
Bürger eine Menge richtig. Auch wenn Medien oft Merkels
Unentschlossenheit und ihre Politik des mangelnden Zupackens
kritisieren, den Wählern gefällt das. Ihre möglichen
SPD-Gegenkandidaten bei einer Bundestagswahl werden sich warm
anziehen müssen. Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und vor
allem Sigmar Gabriel liegen im persönlichen Ansehen weit hinter der
Kanzlerin. Merkel hat von ihrem Ziehvater Helmut Kohl gelernt. Sich
nicht verrückt machen lassen, schon gar nicht in Krisen. Abwarten,
vielleicht sogar aussitzen, dann kann man immer noch entscheiden,
oder manches hat sich dann von allein erledigt. Die Wirtschaftslage
in Deutschland – wenn auch von den Menschen im Land skeptisch
beurteilt – ist derzeit noch so robust, der Arbeitsmarkt so stabil,
dass Merkel davon profitieren kann. Und die ganzen politischen Ränke
und Skandale bleiben nicht an ihr kleben. Der Rücktritt von Horst
Köhler, der unrühmliche Abgang von Karl-Theodor zu Guttenberg und
auch die zum Skandal summierten Skandälchen von Bundespräsident
Christian Wulff schaden Merkel nicht. Obwohl sie es war, die alle
drei Genannten ausgewählt und auf den Schild gehoben hat. Das liegt
vornehmlich daran, dass sie selbst als besonders integer und
rechtschaffen wahrgenommen wird und damit zum Gegenmodell des den
eigenen Vorteil suchenden Bundespräsidenten Wulff. Kann sich jemand
ernsthaft vorstellen, dass Angela Merkel sich bei einem Privatflug
von einem Unternehmer in die Business-Class upgraden lässt? Dass sie
eine Hotel-Suite bezieht, obwohl sie selbst nur ein schlichtes
Doppelzimmer bezahlt? 73 Prozent sagen, Merkel sei „rechtschaffen und
nicht auf den eigenen Vorteil bedacht“. Vor der erschreckenden und
beschämenden Kulisse des Wulff-Theaters kann Merkel unangefochten die
Rolle der Präsidenten-Kanzlerin geben. Sie steht derzeit über allen
Ränkespielen, auch wenn nicht alle mit ihrer Politik einverstanden
sind. Dafür haben die Wählerinnen und Wähler ein feines Gespür. Wie
auch im Fall Wulff, dessen Rücktritt erstmals die Mehrheit (54
Prozent) fordert. Und ganz finster: 76 Prozent halten ihren
Bundespräsidenten für unehrlich. Doch auch das Festhalten am
strauchelnden Bundespräsidenten wird für Merkel zu einem Pluspunkt.
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