Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Erneuerung der FDP Nicht im Hauruck-Verfahren ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN

Der Generationswechsel in der FDP gerät zu einer
zähen Angelegenheit. Offenbar gibt es schönere Jobs als FDP-Chef zu
werden. Auch der Favorit Philipp Rösler zögert bis zum letzten
Augenblick. Das liegt nicht nur an der zurückhaltenden Art des
Hannoveraners mit vietnamesischen Wurzeln. Und es liegt auch nicht
nur daran, dass Rainer Brüderle an seinem Wirtschaftsministerposten
festhalten will und Rösler wohl seine erste schwere Niederlage
beibringen wird. Der Liberalismus selbst steckt in einer tiefen
Krise. Wozu gibt es noch die FDP, ist eine Frage, die sich viele
Wähler stellen. Auf Anhieb fällt keine überzeugende Antwort ein.
Nicht nur das Wahlversprechen „Mehr Netto vom Brutto“ ist krachend
gescheitert. Die Westerwelle-FDP stand für eine Politik, die vor
allem das Portemonnaie der Mittelschicht im Auge hat. Doch eine rein
ich-orientierte Haltung gepaart mit einer Ellbogen-Mentalität kommen
aus der Mode. Globale Ereignisse wie die Finanzkrise und die
Atomkatastrophe von Fukushima führen zu einer geistigen
Verunsicherung. Gerade bei den Deutschen, in deren Mentalität die
Sicherheit oberste Priorität genießt, geht es jetzt mehr um
Werteorientierung und um die Ansprüche des Wir gegenüber dem Staat.
Der Aufstieg der Grünen ist dafür symptomatisch. Dass Christian
Lindner sofort acht Atomkraftwerke abschalten wollte, erscheint da
als eher hilfloser Versuch, der FDP im Turbotempo ein neues
Mäntelchen umzuhängen. Das ging daneben. Eine inhaltliche Erneuerung
wird offenbar nicht im Hauruck-Verfahren klappen. Das beste, was der
FDP jetzt passieren kann ist ein Chef, der eine breite inhaltliche
Debatte organisiert und befeuert. Schnelle Erfolge wird es so zwar
auch nicht geben. Aber vielleicht können die Wähler eines Tages
wieder beantworten, wozu man die FDP eigentlich braucht.

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