Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: EU-Ratspräsidentschaft Litauische Lektion KNUT PRIES, Z. Z. VILNIUS

Für sich genommen ist der Wechsel des
EU-Vorsitzes Routine. Er wird turnusgemäß vollzogen, alle halbe Jahre
ist es so weit. So droht trotz stimmungsvoller Übergabefeiern in
Vilnius fast unterzugehen, dass der Vorgang diesmal eine historische
Bedeutung hat. Noch nie war die EU so groß wie jetzt, zum
Halbjahreswechsel wurde Kroatien Mitglied Nummer eins. Und noch nie
hat ein baltisches Land die Gemeinschaft gemanagt. Zum ersten Mal
wird die EU, diese Kernformation dessen, was der politische Jargon
„den Westen“ nennt, von einer früheren Sowjetrepublik geführt.
Litauen ist nicht nur Musterschüler Brüsseler und Berliner
wirtschaftspolitischer Lehrpläne. Litauen hat mehr zu bieten: eine
einzigartige Erfahrung mit dem großen Nachbarn im Osten. Die hat
keineswegs in hysterische Russenfurcht gemündet, sondern in
illusionslosen Pragmatismus. Dessen Wert steigt, je frostiger die
Beziehungen zwischen Moskau und Washington werden. Und Litauen steht
zum Projekt der europäischen Integration. In Vilnius war zu spüren:
Im Schatten der unberechenbaren Großmacht Russland wird der Idee
einer Einigung im Zeichen von Liberalität, Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie ein Respekt entgegengebracht, der in den abfälligen
Debatten weiter westlich oft verlorengeht.

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