Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Flugzeugkatastrophe Mitleid ohne Grenzen Carsten Heil

Der Mensch ist ein des Mitleides fähiges Wesen.
Er leidet mit, wenn es anderen Mitgliedern seiner Spezies schlecht
geht. Viele, viele Menschen weinen in diesen Tagen ob der
gigantischen Tragödie in den Alpen, bei der 150 Menschen ihr Leben
verloren. Hunderte, vielleicht tausende andere Menschen sind sehr
direkt betroffen, weil jeder, der im Unglücks-Airbus saß, zehn oder
mehr Angehörige hatte, die nun gar nicht mehr wissen, wohin mit ihrer
Trauer und Verzweiflung. Auch wer nicht selber Angehörige oder
Freunde verloren hat, verspürt Entsetzen, Wut und Schmerz, hat immer
wieder Tränen in den Augen angesichts der Berichte aus Südfrankreich.
Hat Mitleid mit den direkten und indirekten Opfern. Das Mitleid
gebiert den Impuls, helfen zu wollen. Und sei es nur mit einer
kleinen Geste, mit einem Umarmen, mit gemeinsamem Weinen, mit einem
Wort oder nur mit Zuhören. In Haltern halten die Menschen zusammen in
diesen Tagen, sind sich gegenseitig Stütze und Schutz. „Die Stadt
weint sich die Seele aus dem Leib“, berichtet mir eine Freundin.
Alle, jeder Bürger dieser Stadt, leiden mit den Eltern der getöteten
Schüler. In der betroffenen Schule stehen die Menschen zusammen. Sie
sind nicht allein. Aber auch ganz normale Franzosen haben Mitgefühl
und helfen. Zu Hunderten strömten sie als Retter in die Berge.
Menschen, die in der Nähe des Absturzortes leben, bieten jetzt den
anreisenden Hinterbliebenen Obdach in ihren Privatwohnungen.
Wunderbare Gesten menschlichen Mitleids. Ihr seid nicht allein, sagen
die Franzosen damit. Wir halten zusammen über Grenzen hinaus. Auch
die Staatschefs stehen zusammen. Eindrucksvoll der gemeinsame Besuch
der deutschen Kanzlerin Merkel, des französischen Staatspräsidenten
Hollande und des spanischen Ministerpräsidenten Rajoy am Unglücksort.
Schulter an Schulter verharrten sie minutenlang. Merkel bedankte sich
mit bewegenden Worten („gelebte deutsch-französische Freundschaft“)
bei Hollande für die Hilfe und Unterstützung durch französische
Helfer. Und wohl nie zuvor in ihrer Kanzlerschaft sprach sie so
vielen Deutschen aus dem Herzen. Selten sah man Europa so vereint in
den vergangenen Monaten wie in diesen Tagen katastrophalen Leides.
Das kann man sich nur häufiger wünschen in Europa angesichts von
Ukraine-Krieg und Finanzkrise. Ohne es direkt vergleichen zu wollen –
was sowieso nicht möglich ist -, könnte Europa auch mehr Mitleid für
die Flüchtlinge aus Afrika aufbringen, die auf dem Mittelmeer
ertrinken. Gemeinsame Hilfe wäre hier vielleicht der richtigere
Impuls als gemeinsames Abwehren. Mitleid und Hilfe haben auch die
verdient, die in den überschuldeten europäischen Staaten am Rande des
Existenzminimums leben. Sie waren es nicht, die ihre Länder
herabgewirtschaftet haben. Ein gemeinsam gefüllter Sozialfonds
zugunsten der Ärmsten in Griechenland, Portugal oder Spanien wäre ein
Zeichen der Mitmenschlichkeit und würde den Reformdruck nicht
untergraben. Noch mal, es ist nicht vergleichbar, aber auch diese
Menschen dürfen nicht alleingelassen werden. So sinnlos der Absturz
und der Tod so vieler Menschen aus so vielen Ländern ist: Er kann uns
doch ins Nachdenken bringen über das, was wirklich wichtig ist:
Menschlichkeit, Hilfe, Freundschaft, Geben, Trösten, Mitleiden,
Zusammenhalten.

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