Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Friedensnobelpreis für die EU Kluge Wahl CARSTEN HEIL

Was für eine Überraschung! Die EU bekommt den
Friedensnobelpreis. Der Zeitpunkt der hohen Ehre ist genau richtig.
Wie so oft hat das norwegische Nobelkomitee mit der Verleihung
Hoffnung auf eine bessere Zukunft verbunden. So schlecht steht es
derzeit also um den ehemals mächtigen und weltbeherrschenden
Kontinent, dass solch ein Signal nötig ist. In einer Phase, in der
Europa zurückzufallen scheint in nationale Egoismen, in Gegeneinander
statt Miteinander, macht eine nichtstaatliche Einrichtung – in einem
europäischen Land beheimatet, das nicht zur EU gehört – die große
Bedeutung Europas deutlich. Die Bedeutung für alle Mitgliedsstaaten,
den gesamten Kontinent und sogar die Welt. Es ist zu hoffen, dass die
Bürger und die Regierungen Europas das Signal verstehen. Der konkrete
Empfänger der hohen Auszeichnung ist jedoch ein Problem. Ist es
wirklich die EU, also mehr oder weniger das bürokratische Monster in
Brüssel und teilweise in Straßburg, das die Auszeichnung verdient
hat? Schon an der Debatte, die sich an der Frage entzünden wird, wer
als Person im Dezember den Preis in Oslo entgegennehmen soll, wird
das ganze Dilemma deutlich. Europa ist eine Idee, eine Werte- und
Kulturgemeinschaft. Die Europäer verbindet untereinander sehr viel,
mehr, als sie selber meinen. Auch das Interesse am wirtschaftlichen
Wohlergehen, das sie derzeit so sehr spaltet, eint sie in
Wirklichkeit. Denn es muss allen Menschen in Europa klar sein, dass
es ihnen nur gut geht, wenn auch der Nachbar ordentlich und in
Frieden leben kann. Das ist die Grundidee der Europäischen Union,
damit auch ihr Wert, der in den vergangenen 50 Jahren immer eingelöst
wurde. Dabei geht es nicht um vollkommen gleiche Lebensverhältnisse.
Die gibt es auch innerhalb Deutschlands nicht. Eigentlich ist Europa
eine Art Spirit und damit nicht zu verorten, nicht zu fassen. Deshalb
tun sich so viele Menschen, auch die sogenannten Eliten, schwer mit
Europa. Entsprechend bleibt bei aller Kritik als Empfänger für den
Preis nur die EU als Institution. Sie ist greifbar. Zu jedem Projekt
gehören Schwierigkeiten, Fehler und Scheitern. Auch zu Europa. Und
jede einzeln ausgezeichnete Persönlichkeit, sei es Jacques Delors,
sei es Helmut Kohl, seien es Helmut Schmidt und Valery Giscard
d–Estaing, alle mit großen Verdiensten, hätte immer nur einzelne
Nationen hervorgehoben. Die Zukunft Europas ist aber eben nicht die
Einzelleistung, die Individualisierung, sondern die Gemeinschaft. In
der muss der Einzelne, besonders wenn er der vermeintlich wichtigere
und stärkere Partner ist, Rücksicht auf die Schwächeren nehmen – auch
die historische Persönlichkeit. Das ist die Situation, in der die EU
und ganz Europa aktuell sind. Das haben die meisten nicht begriffen.
Die Hetzer gegen Griechenland nicht und Politiker nicht, die auf
Kosten der Union Einzelinteressen verfolgen. Es ist das Verdienst des
norwegischen Nobelpreiskomitees, darauf aufmerksam zu machen.

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