Obwohl der britische Premierminister David
Cameron den Ruf hat, risikoscheu zu sein, geht er in seiner neuen
Europapolitik gleich zwei Wagnisse ein. Das größte Wagnis ist, seine
politische Zukunft mit einem unberechenbaren Referendum zu
verknüpfen, das erst in fünf Jahren stattfinden wird. Obwohl er sagt,
dass er für ein klares „Ja“ stehe, muss er wissen, dass Referenden
häufig in Richtung „Nein“ tendieren. Das zweite Wagnis ist, dass er
sich auf Angela Merkel verlässt, dass sie ihm Freiheiten lässt, die
Bedingungen der britischen Mitgliedschaft in der EU neu zu
verhandeln. Merkel hat nach Camerons Rede von Mittwoch eine klare
Botschaft ausgesandt. Darin machte sie deutlich, dass Berlin nicht
darauf aus sei, dass die Briten die EU verlassen. Doch sie warnte
London davor, nicht nur noch nationale Interessen zu verfolgen. In
der Downing Street wurde Merkels Antwort trotzdem als Triumph
gefeiert: Die deutsche Kanzlerin sei kompromissbereit, erklärten
Camerons Berater. Doch das ist ein Missverständnis. Es gibt eine
lange Tradition britischer Fehlinterpretationen deutscher Politik in
der EU, zuletzt im Dezember 2011, als Cameron den Fiskalpakt
ablehnte. Aber Merkel ließ sich damals nicht beirren, und der Vertrag
kam zustande – ohne Großbritannien. Als Cameron nach Hause kam,
erntete er Beifall von euroskeptischen Hinterbänklern – doch die
Absicherungen, die sich Londons Finanzwirtschaft gewünscht hatte,
fehlten im Reisegepäck. Uns was wird diesmal geschehen? Cameron hat
sich mit seiner Rede auf Merkel zubewegt. Er sprach über die
europäische Wettbewerbsfähigkeit und lobte die EU als Errungenschaft
zur Friedenssicherung. Aber Cameron will zugleich definitiv weniger
Europa. Für Teile dieser Agenda gibt es auch in Berlin Sympathien.
„Wenn es um weniger Regulierung und mehr Handel geht, stimmen wir
Cameron zu“, heißt es in deutschen Regierungskreisen. Merkel und
Cameron haben das Thema der wachsenden Euro-Skepsis in Großbritannien
im November diskutiert. „Er weiß, was unsere Überzeugungen sind“, so
die klare Ansage von deutscher Seite. Aber weiß Cameron das wirklich?
Für die Kanzlerin hat die Stabilität des Euro und der Finanz-Union
oberste Priorität. Deshalb will sie „mehr Europa“. Die Kanzlerin ist
sich noch unsicher darüber, was Cameron plant. Sie will wissen, ob er
die Grundfesten der EU verändern will oder mit einer Reduzierung der
EU-Gesetzgebung zufrieden wäre und ob diese nur für Großbritannien
oder für alle Mitgliedsstaaten gelten solle. Wenn die Kanzlerin sagt,
sie sei für einen Verbleib Großbritanniens in der EU, meint sie das
auch so. Aber die deutsche Unterstützung ist nicht grenzenlos.
Cameron muss lernen, Kompromisse zu machen. Die Fähigkeit dazu ist
laut Merkel Pflichtprogramm für alle, die zu Europa gehören wollen.
Kompromisse sind Teil von Merkels Handeln in der deutschen Politik.
Doch es ist wohl nicht sicher, ob Cameron das wirklich versteht.
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