Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Journalisten wehren sich gegen Überwachung Dienst an der Demokratie THOMAS SEIM

In dieser Woche zwangen britische Geheimdienste
die Zeitung Guardian, die Festplatte ihres Laptops zu zerstören. Der
Chefredakteur erklärte später, er habe sich dem Zwang gebeugt, weil
ein Verfahren gedroht hätte, in dessen Verlauf die Zeitung nicht mehr
hätte über den Fall des US-Bürgers Snowden hätte berichten dürfen,
der seit Monaten Informationen aus geheimen Quellen über
Rechtsverstöße des US-Geheimdienstes NSA verbreitet. Das ist
eine gefährliche Entwicklung. Sie bedroht die Freiheit der
Berichterstattung. Journalisten sind nicht nett, eher lästig. Sie
sind anstrengend. Für Politiker, Beamte, Wirtschaftsführer, Sportler
– Menschen des öffentlichen Lebens. Diese Gruppen haben ein
gespaltenes Verhältnis zu Journalisten. Und umgekehrt. Auch wir
Journalisten vertrauen niemandem. Freundschaften gibt es in dem Job
kaum. Nähe zu den Genannten gar nicht. Und wenn es sie gibt, dann
stehen sie immer unter dem Vorbehalt des Misstrauens, dass Privates
doch öffentlich werden kann oder muss. So ist die Rollenverteilung.
Entscheidend für Journalisten ist, ob sie ohne Einschränkung Fakten
recherchieren und veröffentlichen dürfen. Dieses in Artikel 5 des
Grundgesetzes verbriefte Recht gehört zu den Grundwerten unseres
Gemeinwesens. Auch Journalisten irren und gehen fehl. Man muss nur an
die furchtbaren Bilder des Gladbecker Geiseldramas vor 25 Jahren
denken, um selbstkritisch Schuld anzuerkennen. Damals haben sich
Journalisten vorübergehend gemein gemacht mit der Story der Gangster.
Das war eine schlimme Erfahrung. Trotz unserer Selbstkritik damals
gibt es keine Garantie, dass so etwas nicht wieder geschieht. Auch
das gehört zu unserer bitteren Wahrheit. Aber ohne Zeitungen und ihre
Journalisten würde nichts besser, sondern vieles schlimmer. Ganz
gleich, ob es um die Überwachungsaffären der Geheimdienste, um die
Fotos von den Misshandlungen in Abu Ghraib oder auch um die
Berichterstattung über Missstände in Bielefelder Krankenhäusern geht:
Ohne Journalisten gäbe es die Missstände vermutlich noch und die
Verantwortlichen wären nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Das ist
Dienst an der Demokratie. Vor 45 Jahren telefonierte der damalige
noch amtierende US-Präsident Richard Nixon kurz nach einer
Fernsehansprache zur Watergate-Affäre, die Journalisten aufdeckten,
mit einem seiner späteren Nachfolger, George Bush senior. Nixon sagte
laut einem jüngst veröffentlichten Protokoll: „Die Leute könnten es
vielleicht verstehen.“ Aber: „Zur Hölle mit den Kommentatoren.“ So
lange es Journalisten gibt, die Nachrichten und Ereignisse auf
Wirklichkeit, auf Wahrheit überprüfen, gibt es für Politiker,
Betrüger, Doping-Sünder, Beamte und Wirtschaftsführer keine Garantie,
dass ihre Ungesetzlichkeiten unentdeckt bleiben. Das ist lästig
manchmal, ja. Und wir sind darüber nicht immer glücklich, ja. Aber
darin bestehen Wert und Leistung von Redaktionen. Das ist
konstitutives Element unserer Demokratie.

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