Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Konkurrenzen in Ostwestfalen-Lippe Kleinkariert HUBERTUS GÄRTNER

Denk ich an Ostwestfalen-Lippe in der Nacht,
dann bin ich um den Schlaf gebracht! Der Dichter Heinrich Heine hatte
eine solche Aussage noch auf ganz Deutschland bezogen und in seinem
Gedicht „Nachtgedanken“ im Pariser Exil niedergeschrieben. Tief im
Herzen sehnte sich auch Heine nach seiner Heimat, obwohl er diese als
sehr rückständig empfand. Im „Wintermärchen“ kritisierte der Dichter
später die deutsche „Kleinstaaterei“ und schilderte zum Beweis seine
Impressionen anlässlich einer Reise, die ihn über Aachen, Köln, den
Teutoburger Wald, Minden und Bückeburg nach Hamburg führte. Würde
Heine (1797-1856) auferstehen und sich heute Ostwestfalen-Lippe von
neuem ansehen, dann würde er hier vermutlich eine ähnliche
Zersplitterung wie im 19. Jahrhundert konstatieren. Politisch,
wirtschaftlich, sozial und kulturell ist die Region sehr heterogen
und zerrissen geblieben. Sie spricht allen Beteuerungen zum Trotz
keinesfalls mit einer Stimme. Es herrschen im Gegenteil weiter
kleinkarierte Konkurrenzen. In den zurückliegenden Wochen und Monaten
wurde dies gleich mehrfach wieder unter Beweis gestellt. Der geplante
Nationalpark in Lippe, ein potenzielles Leuchtturmprojekt für die
gesamte Region, wurde durch ideologisches Gezänk und plumpes
Taktieren der Parteien zerhäckselt. Für den wirtschaftlich unter
Druck geratenen Flughafen Paderborn fehlt es an allgemeiner
Unterstützung. Die alte Rivalität zwischen den beiden Städten
Bielefeld und Gütersloh tritt in dem bizarren Streit um einen
Dezernenten zutage. Kaum zu glauben: Die beiden Kommunen bekämpfen
sich sogar wegen der Ansiedelung eines Möbelhauses bis aufs Messer.
Das alles sind leider keine Randnotizen, sondern allgemeine Symptome
dafür, dass es in OWL Dissonanzen, aber keinen Gleichklang gibt. Zwar
fehlt es nicht an Versuchen, mehr Kooperation zu erreichen. Im
Spitzencluster-Wettbewerb und mit der Biennale wurden diesbezüglich
auch Erfolge erzielt. Aber diese zarten Pflänzchen können das große
Dilemma nicht aus der Welt schaffen. OWL ist und bleibt ein komisches
Kürzel und einKunstprodukt. Es hat kein Zentrum und keine Seele wie
beispielsweise das Münsterland. Vielleicht wäre es ehrlicher, sich
endlich einzugestehen, dass wir in Ost-Westfalen-Lippe tatsächlich
nichts miteinander am Hut haben. Unser Name deutet ja schon auf kreuz
und quer. Dann sind wir auch noch unterschiedlichen Glaubens – im
Norden protestantisch, im Süden katholisch. In Lippe wären wir ganz
gern noch feudalistisch. Zwar werden gottlob keine Religionskriege
mehr geführt, aber dafür vertiefen sich andere Gräben. Der Osten von
Ostwestfalen-Lippe blutet aus. Er verliert immer mehr Menschen und
wird arm und ärmer. Der Westen hingegen mit Bertelsmann ganz vorn und
Gütersloh und anderen ist reich und hat demografisch und ökonomisch
gute Perspektiven. Das passt nicht zusammen. Was bleibt, ist nur der
Stolz im Sprengel auf den eigenen Kirchturm. Außerdem noch die
Sehnsucht. Nach Heimat.

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