Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: KP-Parteitag in China Maos Erben müssen liefern JOHANN VOLLMER

Die Weltreiche stellen sich neu auf. Innerhalb
eines Jahres haben Russland und die USA ihre Führungsspitzen zur Wahl
gestellt – scheindemokratisch in Moskau, lobbyfinanziert in
Washington. Nun zieht China nach, freilich ohne das eigene Volk zu
befragen. Doch der Umbruch im Reich der Mitte ist gewaltig. Nicht nur
die Führungsspitze räumt ihre Sitze, bis hinunter zum Ortsvorsteher
müssen alle, die vor 1944 geboren wurden, Platz für frisches
Parteiblut machen. An der Parteispitze soll nun Xi Jinping China zur
Weltmacht führen. Kein Wahlkampf, keine Öffentlichkeit. Und der
Westen fragt sich nicht zum ersten Mal bei einem Machtwechsel in
Peking: Xi wer? Die Undurchsichtigkeit der Kommunistischen Partei
(KP) befeuert die internationale Chinaphobie. Die Parteikader wirken
austauschbar, niemand weiß, wer die Fäden zieht. Der US-Wahlkampf hat
gezeigt, wie sehr vor allem Amerika eine neue Supermacht fürchtet.
Schon heute ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, der
größte Gläubiger der USA, der lebenserhaltende Tropf einer
krisengeschüttelten europäischen Wirtschaft und die einflussreichste
Macht auf dem bedeutenden Rohstoffmarkt Afrikas. Das 21. Jahrhundert,
so scheint es, wird chinarot. Doch der unaufhaltsame Aufstieg Chinas
ist kein reibungsloser Selbstläufer. Nie befand sich die KP in einer
solchen Legitimationskrise wie zurzeit. Milliardenschwere
Korruptionsskandale bis hoch in die Parteispitze erschüttern das
Land, protzende Unternehmer und dramatische Umweltverschmutzung
lassen den Glauben an einen „Sozialismus chinesischer Prägung“
schwinden. Ein Zukunftsversprechen, das über Reichtum für alle
hinausgeht, hat die KP derzeit nicht. Und die Geister des
Turbokapitalismus, die sie gerufen hat, wird sie nun nicht mehr los.
Inzwischen haben die Chinesen mehr zu verlieren als ihr Leben. Es
reicht nicht mehr, nur den Hunger, der unter Mao Millionen Chinesen
den Tod gebracht hat, besiegt zu haben. Mit einer prosperierenden
Mittelschicht, die sich Chinas Führung so sehnlich gewünscht hat,
entstehen aber nicht nur Konsumbedürfnisse, sondern auch die
Forderung nach Rechtssicherheit, Einkommensgerechtigkeit,
Bildungschancen und am Ende Meinungsfreiheit. 180.000 größere und
kleinere Proteste jährlich zählt das Land bereits. Chinas KP ist eine
Gefangene ihres eigenen Wachstumsmodells geworden. Sie muss liefern,
um an der Macht zu bleiben. Darf man als demokratischer Europäer der
KP Glück wünschen? Man darf. Denn was ist die Alternative? Ein
Zerfall des Riesenreiches würde nicht der Demokratie, sondern einer
Oligarchie der Marke Russland das Tor öffnen. China hat 500 Millionen
Menschen aus der Armut geholt, eine beispiellose Leistung. Und die
bislang real unerfüllte Parteidoktrin der „harmonischen Gesellschaft“
ist von dem, was wir soziale Marktwirtschaft nennen, gar nicht so
weit entfernt. Wenn die KP den Mut zum Wandel hat, hat sie das Zeug
zur „Supermacht chinesischer Prägung“. Ohne dass sich der Westen
fürchten müsste.

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