Es ist aus deutscher Sicht ein denkwürdiger
Staatsbesuch, den Bundeskanzlerin Angela Merkel in Budapest
absolvierte. Man kann es durchaus eine rhetorische Standpauke nennen,
die sie dem rechtskonservativen Regierungschef Ungarns, Viktor Orbán,
in aller Öffentlichkeit hielt. Der Staatsgast aus Berlin mahnte den
Gastgeber in Budapest zur Achtung der Oppositionsrechte im Parlament,
zur Wahrung der Pressefreiheit und zum Respekt vor der Rolle der
Zivilgesellschaft. Diplomatie mit dem Holzhammer könnte man dies
getrost nennen. Orbán verfolgte den Rüffel Merkels vor der
internationalen Presse mit versteinerter Miene. Innenpolitisch
braucht er aktuell nicht viel zu fürchten; eine Zwei-Drittel-Mehrheit
im Parlament gibt ihm maximale Handlungsfreiheit, um seinen
autoritären Führungsstil scheinbar ungehindert fortzusetzen.
Scheinbar. Denn längst sind Demonstrationen Tausender gegen die harte
Linie Orbáns in Ungarn an der Tagesordnung. So schaffte es die
Protestbewegung im vergangenen Jahr immerhin, dass Orbán von der
Einführung einer Internetsteuer Abstand nahm. Viele Staatschefs,
nicht nur im westlichen Ausland, meiden es mittlerweile, Orbáns
Gastgeberschaft zu strapazieren. Seine Vorstellungen von der
Installierung einer „illiberalen Demokratie“ sind weitab von den
ethischen Grundfesten der übergroßen Mehrheit der europäischen
Staatengemeinschaft. Autokratischer Führungsstil und die Missachtung
der Rechte von Minderheiten sind nur zwei Beispiele hierfür. Welch
eine Zeitenwende, die sich seit dem Sommer 1989 in Ungarn abgespielt
hat. Seinerzeit trug die dortige Regierung unter der Führung des
Sozialisten Miklós Németh mit der Demontage des Grenzzauns maßgeblich
dazu bei, die deutsche Einheit zu befördern. Bereits ein Jahr zuvor
hatten die Ungarn selbst Reisefreiheit erhalten; die Grenzanlagen
waren obsolet geworden. Nun sorgt Orbán dafür, dass wieder eine neue
Mauer entsteht, die fast noch schlimmer ist als die alte: eine Mauer
in den Köpfen, die Mauer der Ausgrenzung Andersdenkender. Dieser Weg
wird Ungarn in eine Isolation führen, aus der das Land nur selbst
herausfinden kann.
Pressekontakt:
Neue Westfälische
News Desk
Telefon: 0521 555 271
nachrichten@neue-westfaelische.de