Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Muslimbrüder am Verhandlungstisch in Ägypten Redet miteinander! INDRA KLEY, JERUSALEM

Die Muslimbrüder – der Name allein lässt in
westlichen Ohren die Alarmglocken schrillen. Zu viel haben wir
durchgemacht seit dem 11. September 2001, zu viel Angst und Schrecken
über die Gewalttaten und Terroranschläge erlebt, die im Namen des
Islams begangen wurden. Die Sorge, dass radikale Kräfte das Chaos in
Ägypten nutzen könnten, um an Einfluss zu gewinnen, ist verständlich.
Doch hat uns das vergangene Jahrzehnt auch gezeigt, dass man mit
einer Null-Toleranz-Politik gegenüber islamischen Gruppierungen
zumindest eines nicht erreicht: diese zu zermürben. Der Umbruch in
Ägypten bietet nun nicht nur dem ägyptischen Volk die Chance auf
einen politischen Neustart. Auch die westlichen Mächte haben die
Möglichkeit, ihren Umgang mit auf dem Islam begründeten
Organisationen zu überdenken. Sie sollten es sogar, wenn sie nicht
riskieren wollen, ihren Einfluss vollends zu verlieren. Die
Muslimbruderschaft, deren Wirken in diesen Tagen von Washington nach
Tel Aviv voller Sorge beobachtet wird, sitzt in Kairo bereits mit am
Verhandlungstisch. Zu Recht, verfügen die Brüder doch über Einfluss
und Rückhalt in allen Bereichen der Gesellschaft. Nach dem Niedergang
des arabischen Nationalismus und Sozialismus boten sie vielen
Ägyptern einen gemeinsamen Bezugspunkt: den Islam. Und sie fingen im
Volk das auf, was Hosni Mubaraks Regierung verbockt hat – mit
Wohlfahrtseinrichtungen, Ausbildungsangeboten, sozialer Fürsorge. Die
Leistung und das Ansehen der Organisation in Ägypten zu ignorieren
wäre fatal. Besser sollte man die Chance auf den Dialog nutzen – auch
wenn unklar ist, inwieweit westliche Vorstellungen von Ägyptens
Zukunft hier Anklang finden. Die politische Isolation ist jedoch
keine Lösung. Das wird täglich nur wenige Kilometer von Kairo
entfernt deutlich: Im Gazastreifen hält die Hamas ihr Terrorregime
aufrecht – auch oder vielleicht gerade weil niemand mit ihr spricht.

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