Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Parlamentswahlen in Italien: Berlusconi ante portas Perfektionierter Tabubruch JULIUS MÜLLER-MEININGEN, ROM

Italien ist politisch ein gespaltenes Land. Der
demokratische Grundkonsens, wie man ihn etwa aus Deutschland,
Österreich oder der Schweiz kennt, ist seit Jahren verloren gegangen.
Der Grund dafür sind Silvio Berlusconi sowie die Schwäche der
Institutionen und ihrer Vertreter. Viermal war der 76 Jahre alte
Unternehmer aus Mailand in den vergangenen 20 Jahren
Ministerpräsident, 8 Jahre lang hat er als Regierungschef das Land
geprägt. Erneut spukt sein Name als Schreckgespenst durch die
Regierungszentralen der EU-Länder. Die Furcht vor einer Rückkehr des
großen Zampano nach den Parlamentswahlen ist groß. Berlusconi
profitiert von mehreren Faktoren. Zunächst ist da das desaströse
Bild, das die italienische Politik insgesamt abgibt. Unter vielen
unbefriedigenden Alternativen ist für nicht wenige Wähler immer noch
das Bild vom Unternehmerfreund und Kämpfer gegen die Steuerlast
attraktiv. Das bekommt vor allem Ministerpräsident Mario Monti zu
spüren, der für hohe Steuern verantwortlich gemacht wird. Berlusconis
Versprechungen wie die Abschaffung der verhassten Immobiliensteuer
klingen da ebenso verlockend wie unrealistisch. Berlusconi kämpft um
diejenigen gemäßigten, konservativen Wähler, die sich in den
vergangenen Jahren in Scharen von ihm abgewendet haben. Das Szenario
einer steuersüchtigen Linken als Feindbild wirkt da immer noch. Eine
breite Wählerschicht mit geringerem Bildungshorizont lebt in einer
Gegenwelt, die Berlusconi in 20 Jahren mit Hilfe seiner Medienmacht
geschaffen hat. Darin trachtet eine kommunistische Verschwörung von
Sozialdemokraten und Staatsanwälten nach dem Wohlstand der anderen.
Insbesondere habe es die vom Neid zerfressene Linke auf den
Topunternehmer Berlusconi abgesehen, der mit einem Vermögen von
geschätzt 7,8 Milliarden US-Dollar zu den reichsten Männern des
Landes gehört. Auch eine unternehmerfreundliche Schicht, die den
Staat nicht zu Unrecht als Ressourcen verschlingenden Moloch
empfindet, ist für diese Töne anfällig. Nicht wenige sind überzeugt,
dass die Skandale und Prozesse von Berlusconis Gegnern und einer
politisierten Justiz inszeniert wurden. Berlusconis Trumpf jedoch ist
sein Gespür für diffuse, weit verbreitete, aber öffentlich nie
besonders deutlich artikulierte Gefühle der Italiener. Berlusconi hat
den Tabubruch perfektioniert. Jüngst verteidigte er die Zahlung von
Schmiergeldern, eine durchaus verbreitete Methode. Auch das Lob für
den faschistischen Diktator Benito Mussolini, der abgesehen von der
Einführung der Rassegesetze Gutes bewirkt habe, war kalkuliert. Die
Empörung in Italien hält sich in Grenzen. Erst wenn der Rest der
politischen Klasse Italiens einen Willen zur Umkehr zeigt und sich
dieser Wille zur tatsächlichen Erneuerung in funktionierenden und den
Bürgern dienenden Institutionen manifestiert, haben Populisten wie
Berlusconi keine Chance mehr.

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