Selbstvergessen
VON CARSTEN HEIL
So richtig Freude macht es nicht mit der Politik in Deutschland
derzeit. Grund: Es entsteht der Eindruck, dass das politische
Spitzenpersonal mehr mit sich selbst beschäftigt ist als damit, die
Fragen der Zeit zu lösen. Da ist Bundespräsident Christian Wulff, der
sich mit einem Fehler aus seiner Vergangenheit und einer möglichen
Lügerei vor den niedersächsischen Landtag herumschlägt. Bei dessen
Erklärung macht er eine genauso schlechte Figur, wie beim Fehler
selbst. Erst dauert es Tage, bis er sich überhaupt äußert und dann
bedauert er nur, dass ein falscher Eindruck entstanden sei im
Zusammenhang mit seinem Privatkredit von einer Unternehmersgattin.
Und nun kommen weitere Details ans Licht. Nein, es ist kein falscher
Eindruck entstanden, sondern ein richtiger und zwar ein verheerender.
Ein Eindruck von Abhängigkeit und Unwahrheit. Als Ministerpräsident
Niedersachsens war Wulff zu sehr und auf fatale Art und Weise mit
Menschen verbandelt, worauf er besser verzichtet hätte. Er war
selbstvergessen ob seiner Macht. Genau das darf ein Bundespräsident,
der immer auch moralische Instanz ist, nicht sein. Er bezieht zwar
einen Teil seines Ansehens aus dem Amt, aber auch zu einem Teil aus
seiner Persönlichkeit. Das Volk wünscht einen integren Präsidenten.
Dann ist da ein FDP-Personal, das sich beim Management der
Mitgliederbefragung so sehr verheddert, dass die Führungsspitze
auseinandergebrochen ist. Parteichef Philipp Rösler ist zwar aufgrund
des Ergebnisses (die Euro-Gegner sind gescheitert) vorerst gerettet.
Durch sein unkluges Taktieren und frühzeitiges Triumphieren über das
Scheitern der Euro-Rebellen schon am vergangenen Wochenende hat er
sich als Person jedoch über den demokratischen Prozess der Abstimmung
erhoben. Das steht einem Parteivorsitzenden nicht zu und ist
selbstvergessen. Seinen vielversprechenden Generalsekretär Christian
Lindner hat er bei der Operation verloren. Auch zum Verhalten
Lindners selbst sind Fragen erlaubt. Warum tritt der 32-Jährige in so
heikler Phase zurück? Ohne Not. Will er seinem Chef Rösler schaden,
in der Hoffnung, ihn später zu beerben? Genau das sind die Tricks und
Winkelzüge, die das Publikum nicht mehr sehen will. Dann sind da noch
die Abgeordneten in NRW, die sich per Abstimmung höhere Renten
sichern wollen. Nach nur zehn Jahren im Landtag wollen sie bereits
1.251 Euro Rente erwerben. Davon kann ein Angestellter nur träumen.
Das sorgt ebenfalls für den Eindruck von Selbstvergessenheit. Und
schließlich schieben sich Bund und Land den Schwarzen Peter hin und
her, was die Verzögerung beim Weiterbau der A 33 in OWL betrifft.
Dabei haben alle Beteiligten über Jahre beteuert: Alles wird gut,
wenn nur die Umweltschützer nicht blockierten. Das glaubt alles
niemand mehr. Wenige Beispiele, die auf unterschiedlichen Ebenen
belegen, woher die Verdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger mit
ihrem politischen Personal kommt.
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