Mit den Gipfeln ist das so eine Sache: Ist man
erst man erst einmal dort angelangt, führen alle Wege nur noch
hinunter. Von den wenigen Fällen abgesehen vielleicht, in denen man
ein dünnes Drahtseil zum nächsten Gipfel spannen und diesen so
erreichen kann. Angela Merkel ist auf dem Gipfel. Die einst so stolze
Volkspartei CDU liegt ihr demütig zu Füßen, darauf hoffend, dass mit
ihr die Macht sei, die sie so dringend braucht, weil es die Basis
ihrer Existenz ist. Und die Macht ist mit der Bundeskanzlerin: Sie
bestimmt derzeit alle wesentlichen Entscheidungen der Europapolitik;
sie ist – vielleicht mit Ausnahme des Luxemburger Premierministers
Juncker – die einzige europäische Spitzepolitikerin, die auf den
Gipfeln der Welt ernst genommen wird; sie bestimmt die Richtlinien
der deutschen Politik, organisiert die Kehrtwende der Energiepolitik,
beim Mindestlohn, der Finanzpolitik, beim Euro-Schuldenschnitt für
Griechenland; sie dominiert die Männerpartei CDU, entmachtet alle
Konkurrenten und organisiert ein verschwiegenes kleines Treue-Kartell
um sich herum, dass alle Angriffe frühzeitig abwehrt oder ablenkt.
Natürlich drängt sich der Vergleich mit den letzten großen Führern
der Christlich Demokratischen Union auf: Konrad Adenauer, der seine
Partei nach acht Jahren Regierungszeit in die absolute Mehrheit
führte. Oder mit Helmut Kohl, der Deutschland in die Einheit führte
und diesen, auch persönlichen Glücksfall für die eigene Wiederwahl,
aber auch die Verwirklichung der Europäischen Union nutzte. Beide
Merkel-Vorgänger allerdings gründen ihren Erfolg auch auf einem
Wertefundament. Die Westintegration und die Sicherheit in Demokratie
trieb Adenauer an. Die Europäische Einigung in Frieden Kohl. Was aber
treibt Angela Merkel an, außer einem sehr guten Pragmatismus in der
Alltags-Politik? Worauf gründet Sie ihre Werte? Ganz gleich, ob es um
Grundsätze – siehe Energiepolitik, Mindestlohn, Euro-Rettung – oder
um die Herausforderungen des Alltags – siehe Betreuungsgeld oder
Praxisgebühr – geht: ein Wertefundament jenseits des Erhalts von
Macht und Regierbarkeit des Landes ist nicht zu erkennen, jedenfalls
nicht deutlich. Ihr Politik definiert sich eben nicht alternativlos.
Funktioniert der eine Weg nicht, nimmt sie den anderen. Das ist guter
Regierungspragmatismus. Aber der birgt eben auch die Gefahr der
Beliebigkeit, der postmodernen Beliebigkeit – wie der ehemalige
Stellvertreter Merkels in der CDU, Jürgen Rüttgers, es nannte. Merkel
ist oft nicht weit davon entfernt. Einstweilen trägt dieser Kurs die
Kanzlerin auf einer großen Beliebtheitswelle. Ihren Herausforderer
Peer Steinbrück muss sie nicht fürchten, solange der und die SPD sich
in den Debatten über die Angemessenheit von Honoraren verheddern. Die
CDU ist eine folgsame Partei. Sie trottet ihrer Garantin der Macht
hinterher, ganz gleich, welchen Kurs diese gerade für richtig hält.
Wenn die Macht allerdings ins Wanken geraten sollte, wird sich jemand
finden, der neue Garantien formuliert. Der Weg bis zur Bundestagswahl
ist lang. Fehlen Merkel am Wahlabend Partner, ist der nächste Gipfel
in weiter Ferne. Das Drahtseil ist dünn.
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