Endlich kommt Bewegung in die Debatte um die
Rente. Es geht sogar in die richtige Richtung, auch wenn die
Schwierigkeiten bei der Rente mit 70 im Detail liegen. Wenn jetzt
Frank-Jürgen Weise als Chef der Bundesagentur für Arbeit Anreize
dafür vorschlägt, erst später in den Ruhestand zu gehen, ist er
zunächst Arbeitgeberinteressen unverdächtig. Er hat den gesamten
Arbeitsmarkt im Blick und gilt nicht als Schlagzeilen-Schinder, eher
als besonnen. Sein Vorschlag zielt in Richtung mehr Flexibilität und
Individualität. In der Vergangenheit gab es meist nur starre
Vorschriften zum Thema Rentenbeginn, die den Vorstellungen und vor
allem den Bedürfnissen der einzelnen Menschen nicht gerecht wurden.
Wollte oder musste jemand aus gesundheitlichen Gründen eher sein
Berufsleben beenden als gesetzlich vorgesehen, wurde er mit
Strafmaßnahmen in Form von Rentenkürzungen traktiert. Länger zu
arbeiten ging so gut wie gar nicht, weil zum Teil auch Tarifverträge
dagegen sprachen. Nun muss eine größere Beweglichkeit in den
Arbeitsmarkt einziehen. Und genau damit argumentiert Weise. Er sieht
genau den Druck, der durch die demografische Entwicklung entstehen
wird. Der Facharbeitermangel beginnt schon heute zum größten Problem
für die deutsche Wirtschaft zu werden. In spätestens 10 bis 15
Jahren, wenn die Babyboomer sich zur Ruhe setzen, wird sich die
Situation verschärfen. Zumal die von der Großen Koalition neu
geschaffene „Rentenregelung mit 63“ nach 45 Beitragsjahren diesen
Druck noch erhöht. 186.000 Anträge auf diese Frührente liegen vor,
deutlich mehr als von der Bundesregierung prognostiziert. Viele von
diesen Menschen würden noch gebraucht. Es wäre im Sinne Weises sicher
richtig, wenn sich eine längere Lebensarbeitszeit überproportial
positiv auf die spätere Rentenzahlung auswirkte, da häufig
Arbeitnehmer der unteren Gehaltsgruppen länger arbeiten müssen
(jedenfalls nicht so leicht in Frührente gehen), weil sie sich den
früheren Ruhestand finanziell schlicht nicht leisten können. Es wäre
also auch eine kleine soziale Komponente eingezogen. Eines der
angesprochenen Detailprobleme: Oft sind es gerade die schlecht
bezahlten Mitarbeiter, die aus gesundheitlichen Gründen früher
aufhören müssen. Ein anderes Problem aus Sicht der Chefs: Nicht jeden
Mitarbeiter will ein Unternehmen bis zum 70. Geburtstag beschäftigen.
Es darf kein Recht auf längere Beschäftigung geben. Das
Konfliktpotenzial in den Unternehmen ist damit klar. Letztlich wird
aber diese richtige Rentenoperation den Facharbeitermangel der
Zukunft nicht beseitigen. Auch nicht, wenn die
Produktivitätssteigerung einberechnet wird. Deshalb dürfen sich die
Unternehmen nicht auf diese Lösung allein verlassen. Sie müssen
erstens die Arbeitsbedingungen in den Mangelbranchen (zum Beispiel
Logistik, Gesundheit, Bau) verbessern, Jobs und Bezahlung besser
gestalten. Und zweitens sollten sie vor allem in die Ausbildung mehr
Zeit und Geld investieren. Sie müssen sich mehr Mühe mit einzelnen
Azubis geben, wie es auch der neue IHK-Präsident in Bielefeld, Wolf
Meier-Scheuven, jüngst von seinen Kollegen gefordert hat. Darüber
hinaus sind die Chancen von Frauen zu verbessern. Es reicht
jedenfalls nicht, in Sachen spätere Rente ausschließlich nach dem
Gesetzgeber zu rufen. Gleichwohl ist es höchste Zeit, auch über ein
freiwilliges späteres Renteneintrittsalter zu reden.
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