Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Woche des Widerstandes Der Wutbürger ist gefragt CARSTEN HEIL

Die Deutschen sind ein Volk von Protestierern
und Demonstranten geworden. Das ist gut, denn sie nehmen damit ihre
demokratischen Rechte in Anspruch. Sie gehen gegen einen Bahnhof auf
die Straße, sie protestieren gegen die Dichtigkeitsprüfung der
häuslichen Abwasserleitungen, sammeln in Windeseile 40.000
Unterschriften gegen die Schließung von Grundschulen. Auch gegen
Windräder, gegen Stromleitungen und gegen Autobahnen lässt es sich
trefflich demonstrieren. Es ist gute demokratische Kultur, sich gegen
etwas zu wehren, das einem nicht passt. Manchmal sogar erfolgreich.
Die Anti-Atom-Bewegung ist durch hartnäckige Proteste schließlich zum
Erfolg gekommen, der Ausstieg ist perfekt. Jetzt gibt es eine neue
Gelegenheit zu demonstrieren. Diesmal können die Menschen in
Ostwestfalen-Lippe nicht gegen, sondern für etwas demonstrieren: für
Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Denn am Samstag, 24.
Dezember, darf die Straße nicht den Neonazis allein gehören. Die
wollen eine andere Gesellschaft, eine, in der Andersdenkende nicht
für ihre Interessen demonstrieren dürfen, in der Gewalt und Willkür
herrschen. Die braunen Horden wollen am Heiligen Abend in Bielefeld
die Straße für sich, wollen „Ausländer raus!“ bölken. Das haben sie
schon oft getan und – seien wir ehrlich – die bürgerlichen Kreise
haben sich gelangweilt abgewandt. Es sah aus wie ein Ritual: Die
Nazis demonstrierten, die Antifaschisten und ein paar Aufrechte aus
Kirchen und Gewerkschaften demonstrierten dagegen, manchmal gab–s
Randale und die Polizei sorgte irgendwann für Ruhe. Im
Einfamilienhausidyll, in den gehobenen Altbauvierteln wurde das
schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Spätestens jedoch seitdem
bekannt geworden ist, dass drei Neonazis aus Zwickau zehn Menschen
umgebracht haben, ist alles anders. Sie haben Türken ermordet, weil
es Türken waren und keine Deutschen. Eine widerliche Vorstellung. Den
Neonazis werden rund 150 Morde in den vergangenen Jahren zur Last
gelegt, und die NPD ist die politische Organisation, die
dahintersteht. Die RAF hat in den 70er und 80er Jahren deutlich
weniger Menschen getötet, als die rechten Terrorbanden. Die RAF
erhielt aber wesentlich mehr Aufmerksamkeit, nicht nur von den
Ermittlungsbehörden, auch von der Bevölkerung. Ist ein türkischer
Friseur weniger wert als ein deutscher Arbeitgeberpräsident oder ein
Chef der Deutschen Bank? Eine Antwort auf die Frage erübrigt sich.
Deshalb ist es wichtig, dass am Wochenende breite Kreise der
Bevölkerung für die Freiheit und gegen die Neonazis in Bielefeld
demonstrieren. Die Wutbürger sind gefragt. Nicht weil die
Rechtsradikalen ausgerechnet am Heiligen Abend ihre widerlichen Ziele
verfolgen wollen. Es ist gleichgültig, ob die Weihnachten oder am 24.
Juli demonstrieren. Die Neonazis sind mit allen demokratischen,
juristischen und polizeilichen Mitteln zu bekämpfen. Alle Bürger sind
gefragt. Dann ist die Demokratie wehrhaft. Ich bin dabei.

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