Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar zu Amoklauf eines verirrten Rechtsextremisten Norwegische Trauer THOMAS SEIM

Eiskalt hat ein Täter mehr als 90 Menschenleben
ausgelöscht. Eiskalt läuft es dem Beobachter über den Rücken, wenn er
die Rechtfertigung des Täters liest, die Morde seien „grausam, aber
notwendig“ gewesen. Eiskalt ist es in Norwegen geworden: Ein Land,
das als Synonym für Toleranz und Weltoffenheit, für Frieden und
Freiheit gelten darf, ist von einem verwirrten Einzeltätern in seinen
Grundfesten erschüttert. Unser Mitgefühl ist in diesen Stunden bei
den Opfern und ihren Angehörigen. Man kommt an die Grenzen seines
Vorstellungsvermögens, wenn man versucht nachzuvollziehen, wie sehr
das Leben der Zurückbleibenden zerschnitten ist. Wir haben das in
ganz anderem Zusammenhang bei den Vorgängen um die Duisburger
Loveparade erlebt, deren Hinterbliebene sich am Wochenende zu ihrer
persönlichen Jahrestrauer trafen. Bis gerade noch gab es das Idyll
eines guten Lebens. Innerhalb eines kurzen Augenblick ist es
verwandelt worden in eine dunkle, perspektivlose Trauer-Zukunft. Wie
weiterleben in einem solchen Land nach einer solchen Tat? Wie ernst
sich diese Frage in Norwegen am Tag danach stellt, macht die
bemerkenswerte Erklärung Haralds V. deutlich. Ein Monarch verurteilt
den Anschlag auf die Demokratie. Ein König glaubt fest daran, dass
die Freiheit stärker ist als die Angst. Man will darauf hoffen, dass
das stimmt. Es gibt keine absolute Sicherheit. Nirgendwo. Vor
Anschlägen fehlgeleiteter Amokläufer ebenso wenig wie vor den
gezielten Attacken auf das politische System der Freiheit – die
Demokratie – durch politischen Terror. Jeder von uns kann jederzeit
und überall zum Opfer werden, weil ein irregeleiteter Aktivist den
verrückten Gedanken verfolgt, dass sein Morden die Welt verbessert.
Das Motiv des Täters von Oslo war Angst. Angst vor dem Fremden, Angst
vor dem anderen. Angst vor der Bedrohung des eigenen Lebens und des
eigenen Wohlstandes durch die Konkurrenz des Andersartigen, Fremden.
Er setzte darauf, diese Angst zu verbreiten und sie den anderen
Norwegern und Europäern einzuimpfen. Aber Angst ist kein guter
Ratgeber. Weder in persönlichen Konfliktsituationen noch im Blick auf
die Zukunft. Ganz gleich, ob es sich um fanatisierte Einzeltäter oder
organisierte Terror-Gruppen handelt: Diese Gewalt gegen Menschen darf
uns nicht auf den Irrweg führen, unsere liberale
Fortschrittsgesellschaft einem Orwellschen Kontrollstaat zu opfern.
Denn ihr verdanken wir seit mehr als 60 Jahren unseren Frieden. Angst
ist der größte Feind der Freiheit und der Demokratie. Die dänischen
Rechtspopulisten haben es mit dem Schüren der Angst vor allem Fremden
bereits geschafft, die Grenzkontrollen in Europa wieder politikfähig
zu machen. Ähnliche Diskussionen werden von Parteifreunden der
dänischen Rechten in den Niederlanden, Frankreich und auch in
Norwegen geführt. Ihnen muss man entschieden entgegentreten wie der
norwegische König.

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