Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: Zu Guttenberg zurückgetreten Täter, nicht Opfer THOMAS SEIM

Der Rücktritt von Minister Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg war überfällig. Alle, die sich selbst angesichts der
erdrückenden Beweislast zu einem erschwindelten Doktortitel ehrlich
mit der Sache und ihrem eigenen Urteil über den Vorgang machten,
wussten dies. Der Minister hat betrogen, der Minister musste gehen –
das ist die nüchterne Bilanz, die man am Tag danach ziehen darf. Nun
ist er – wenn auch mit einigem zeitlichen Verzug – gegangen. Und das
ist gut so. Denn – und das muss man nach dieser Rücktrittsrede des
Ministers noch einmal unterstreichen – Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg ist hier Täter, nicht Opfer. Der adlige Minister hat gute
bürgerliche Werte mit Füßen getreten und verraten: Ehrlichkeit,
Aufrichtigkeit, Solidität, Zuverlässigkeit, Demut. Nichts von dem
spiegelt sich in dem Verhalten des Freiherrn beim Verfassen,
Verteidigen und Zurückziehen seiner abgeschriebenen Doktorarbeit.
Deshalb musste er gehen. Und nicht weil ihn eine gnadenlose
Öffentlichkeit verfolgte, eine – womöglich gar linke – Presse gejagt
hätte. Nicht weil seine Affäre die Aufmerksamkeit von der schweren
Aufgabe und den Opfern der Bundeswehr in Afghanistan ablenkte. Auch
nicht weil er nicht mehr genügend Reputation besessen hätte, um eine
Bundeswehrreform durchzusetzen. Das alles möchte der Ex-Minister nun
gern – gewissermaßen als neue Dolchstoß-Legende – als Grund für
seinen Rücktritt in die Geschichtsbücher diktieren. Das alles aber
beschreibt in Wahrheit nur die Folgen des Guttenberg-Desasters. Der
tatsächliche Grund für den Rücktritt liegt in nur einem Wort: Betrug.
Ein Minister, der seine Freunde, Mitarbeiter und Parteifreunde so
hintergeht wie Guttenberg, kann nicht auf Milde im Urteil über sein
Fehlverhalten hoffen. Alles andere als dieser Ausgang der Affäre wäre
ein schwerer Schlag für das politische System unseres Landes, für den
Respekt vor den uns regierenden Politikern und für unsere
Selbstachtung gewesen. Das hat auch der bayerische Ministerpräsident
und CSU-Chef Horst Seehofer gewusst, als er sich vorgestern nicht wie
so viele andere bedingungslos hinter Guttenberg stellte, sondern
ankündigte, man werde weiterberaten, wenn die betroffene Universität
Bayreuth ihren Bericht vorgelegt habe. Es ist von Anfang an
unbegreiflich gewesen, wie die führenden Kräfte dieser
Bundesregierung versucht haben, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
im Amt zu halten. Mag sein, dass sie sich dabei auf das einfache
politische Kalkül beriefen, dass man einen beliebten Politiker nicht
einfach abschieben darf. Aber dieser Zugang zu dem Problem Guttenberg
offenbart nur die Größe des Realitätsverlustes unserer politischen
Klasse. Oder doch mindestens von Teilen dieser politischen Klasse.
Nun ist das Problem der Kanzlerin ein doppeltes. Sie selbst hat durch
ihr langes Zögern in der Affäre Schaden genommen und diesen noch
vergrößert, als sie öffentlich erklärte, sie habe schließlich keinen
wissenschaftlichen Assistenten, sondern einen Minister berufen. Und
sie muss einen Ersatz für ihren bisherigen Star im Kabinett finden.
Das wird keine einfache Aufgabe werden, denn das
Verteidigungsministerium ist nicht leicht zu führen. Die Aufgabe
erfordert bedingungslose Achtung der bürgerlichen Werte, Erfahrung,
Seriosität, kluges Urteil, Fingerspitzengefühl,
Durchsetzungsfähigkeit und große politische Reputation. Von dieser
Qualität hat die Bundeskanzlerin nicht mehr viele politische Köpfe in
ihrer Umgebung. Merkels guter Ruf hat nach diesem Umgang mit der
Affäre Guttenberg gelitten. Man wird sehen, was das für den Ausgang
der Landtagswahlen im März bedeutet. Vor allem der in
Baden-Württemberg. Es wird einsam um die Kanzlerin.

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