Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR zum Thema Wikileaks-Dokumente Guido wer? PETER STUCKHARD

Washingtons Auslandsvertretung in Berlin hat
ihrem Dienstherrn im Department of State Eindrücke über deutsche
Politiker zugemailt, die den Amerikanern noch eher unbekannt waren:
Außenminister Guido wer? Auch wenn alle Kabel mit dem Namen des
Botschafters gezeichnet sind, Philip Murphy wird nicht in allen
Fällen selbst abgelästert haben. Und wenn doch? Murphy ist kein
Karrierediplomat, der mit den Usancen des alten Europas vertraut
wäre. Er war 23 Jahre bei der Investmentbank Goldman Sachs
beschäftigt, ist dort mehrfacher Millionär geworden, hat Obama mehr
als 600.000 Dollar aus seinem Privatvermögen gespendet und hat jetzt
in Berlin seinen ersten Botschafterposten bekommen – kann man in
Deutschland in der Zeitung lesen. So eine Karriere macht man nicht
als professioneller Leisetreter. Bis hierher kann man mit den
Amerikanern spötteln: „So what – was soll–s?“ Eine riesige Blamage
für die amerikanische Diplomatie sind nämlich nicht die Inhalte der
Kabel, sondern die Tatsache, dass sie an die Öffentlichkeit gelangt
sind. Mit wie viel kindlichem Glauben an Vorschriftenhörigkeit,
Wohlverhalten und Verschlüsselungstechnik muss man ausgestattet sein,
wenn man im Jahr 2010 glaubt, über das Internet verbreitete Daten
geheim halten zu können? Muss man das State Department für so
ausgesprochen tumb halten? Man muss wohl, und das ist der eigentliche
Skandal. Auf Wikileaks herumzuhacken ist ein Ablenkungsmanöver. Das
Portal handelt im Interesse von Wahrheit und Transparenz. Ob es eine
seriöse Quelle ist, müssen Redakteure sorgfältig prüfen. Es ist gut,
dass nicht nur nationale Politiker und Behörden, sondern auch die
internationale Politik sich zunehmend kontrolliert fühlen muss.
Staaten haben keine Freunde, sie haben Interessen. In deren Namen
wird dann auch schon mal ein Krieg angezettelt.

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