Neues Deutschland: Anschlag in Norwegen

Aus Norwegens Hauptstadt hatte es am vergangenen
Freitag noch keinen einzigen Hinweis auf Täter und eventuelle
Hintermänner des Bombenanschlags in Oslo und des entsetzlichen
Massakers auf der Insel Utøya gegeben, da verfolgten
öffentlich-rechtliche »Terrorismusexperten« hierzulande bereits die
»islamische Spur«. Und der einzige Name, der genannt wurde, war der
des Muammar al-Gaddafi. Gewiss, abwegig war der Verdacht nicht: Der
in Tripolis um sein Leben fürchten muss, hat es an Drohungen gen
Norden nicht fehlen lassen. Doch wer das Publikum allein auf diese
Fährte führte, disqualifiziert sich als Experte. Der wahre Täter, das
steht inzwischen fest, ist Norweger und nach eigenem Bekenntnis
konservativer Christ. Dem werden andere Christen energisch
widersprechen, denn christlich handelte Anders B. ganz und gar
nicht. Auch die Mehrheit der Muslime nennt Terrorismus übrigens
unislamisch. Aber gibt es überhaupt eine Religion, eine Ideologie,
die sich nicht missbrauchen ließe? Nährboden für solchen Missbrauch
findet sich nicht nur in armen, unterentwickelten Regionen, sondern
augenscheinlich auch in einem der reichsten Staaten der Erde, der
sich seiner Demokratie rühmt. Es heißt, der mörderische Hass des
Anders B. resultiere aus der Erfahrung der Ohnmacht gegenüber
Norwegens politischen Seilschaften und in Beton gegossenen
technokratischen Strukturen. Vielleicht ist das keine hinreichende
Erklärung, aber eine bedenkenswerte.

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