Pünktlich zum EU-Sozialgipfel in Göteborg
veröffentlicht die wirtschaftsliberale Bertelsmann-Stiftung eine
vielbeachtete Studie mit hoffnungsfrohem Tenor: Europa ist sozial
gerecht wie lange nicht, denn die Arbeitslosigkeit ist gesunken.
Dahinter steckt ein Trugschluss. Nicht der Arbeitsmarkt sorgt für
Gerechtigkeit, sondern der Sozialstaat. Wer eine Arbeit findet, ist
der Armut nicht zwangsläufig entkommen. Arm trotz Arbeit – das ist
für viele Europäer Alltag. Nichts wäre einzuwenden gegen
Vollbeschäftigung. Aber die Abwesenheit von Arbeitslosigkeit mit
sozialer Gerechtigkeit gleichzusetzen, ist ein neoliberaler
Selbstbetrug. Der Kurzschluss ist schlicht falsch: Gerade in
Deutschland – Europas stärkster Volkswirtschaft – ändert ein
Arbeitsplatz am Armutsrisiko oft gar nichts. Trotz Vollzeitstelle
zwingen prekäre Arbeitsverhältnisse besonders Familien in die Arme
des Sozialstaats. Das räumen die Studienautoren sogar ein: Obwohl die
Arbeitslosigkeit gesunken sei, stagniere die Armutsgefährdung.
Welchen Beweis braucht man noch, dass die Entrechtlichung des
Arbeitsmarktes nur Unternehmen hilft, aber nicht den Beschäftigten?
Wenn die Staats- und Regierungschefs Europas am Freitag die
»Europäische Säule sozialer Rechte« verkünden, müssen sie sie sich
vom Dogma »Arbeit um jeden Preis« endlich verabschieden. Eine Arbeit,
die den Lebensunterhalt nicht finanziert, ist nichts mehr wert. Ist
die EU wirklich ein neoliberales Projekt? In Göteborg könnte sie den
Gegenbeweis antreten.
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