Der EU-Ratspräsident Donald Tusk schreibt in seiner
Einladung für den EU-Gipfel, die 2015 beschlossene
Flüchtlingsverteilung funktioniere nicht und sei »höchst
spalterisch«. Nun ist Tusk als Befürworter einer Festung Europa
bekannt und muss sicherlich nicht in Schutz genommen werden. Aber mit
welcher Verve einige jetzt beklagen, Tusk hintertreibe die
europäische Solidarität, indem er sich (angeblich) auf die Seite der
östlichen Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingspolitik stelle, ist doch
erstaunlich scheinheilig. Manch einer bemüht gar den Hinweis, Tusk
sei ja selbst »Pole« – als wäre dies schon eine politische Gesinnung.
Angela Merkel spricht davon, »selektive Solidarität« abzulehnen.
Dabei ist die Empörung eine selektive; schließlich ließ auch
Deutschland Italien und Griechenland jahrelang mit Flüchtlingen
allein.
Davon ganz unabhängig: Tusk hat schlicht ausgesprochen, was
Tatsache ist. Die Quote hat nie funktioniert, fast kein Land hat sie
eingehalten – einige Visegrád-Staaten weigern sich gänzlich, sie
anzuerkennen. Man kann natürlich so tun, als wäre dem nicht so.
Erfolgversprechend aber ist das nicht. Was Merkel nicht sagt, ist,
dass es bei der Debatte nicht nur – wohl nicht einmal in erster Linie
– um Flüchtlinge geht, sondern um Macht in der EU. Wenn einzelne
Staaten Beschlüsse ignorieren, ist dies ein Affront gegen Deutschland
als Supermacht Europas. Dass Tusk mit seinen Äußerungen Orbán und Co.
»nachgibt«, ist auch deshalb für Merkel so ärgerlich.
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