Neues Deutschland: Wo bleibt die Opposition?

Mubaraks Zeit ist abgelaufen. Das wussten alle
schon vor zwei Wochen, auch ihm selbst hätte das klar sein müssen.
Jahre gottgleicher Herrschaft waren aber auch in Ägypten der
Sensibilität eines Staatsoberhauptes für das Leben außerhalb der
Paläste nicht zuträglich, und dann gar Jahrzehnte wie im Falle
Mubaraks…

Als sehr gemäßigte Oppositionelle ihm vor einem Jahr nahelegten,
für die Präsidentschaftswahlen im September 2011 seinen Rückzug
anzukündigen und eine geordnete Nachfolge einzuleiten – das hieß
selbstverständlich auch eine ohne seinen Sohn – würdigte er sie nicht
einmal einer Antwort. Selbst anlässlich der Parlamentswahl im Herbst
wäre noch Gelegenheit gewesen, der Bevölkerung einen Silberstreif an
politischer Veränderung in Aussicht zu stellen. Doch so wie er den
Wahlvorgang selbst zu einer Farce reinsten Wassers verunstaltete, war
schnell klar, dass der Mubarak-Klüngel nicht entfernt daran dachte,
sein pharaonisches Diktaturprinzip auch nur entfernt in Frage stellen
zu lassen.

Die Chance eines in den Augen der eigenen Bevölkerung halbwegs
ehrenhaften Abtritts bestand nun nicht mehr, ganz gleich mit welch
fragwürdigen Freundlichkeiten sein Nachfolger das gestern noch
umschrieb. Aber selbst dafür schwanden die Möglichkeiten beinahe mit
jeder Stunde, die Mubarak verstreichen ließ. Er legte es offenbar
darauf an, dass ihm jeder Zacken der Krone einzeln entwunden werden
musste.

Dass dies bis zum gestrigen Tag aber noch immer anhielt, lag nicht
nur in der Haltung Mubaraks begründet. So ist die politische Haltung
der führenden Köpfe der Armee als der vermeintlich starken und
zugleich allein ihres Amtes wegen allgemein anerkannten Kraft im
Lande noch immer äußerst diffus. Keine der dürftigen Äußerungen der
Militärs ließ erahnen, inwieweit sie den massiven Forderungen nach
Demokratisierung des bedeutendsten arabischen Landes Rechnung zu
tragen gedenken. Der Grund für das verbreitete Misstrauen hat auch
ein Gesicht: das des bisherigen Vize Suleiman. Der nun inthronisierte
Nachfolger bedient alle negativen Vorstellungen, die man völlig
zurecht auch mit dem Namen Mubarak verband. Er ist alles andere als
eine Alternative zu ihm.

Jetzt, spätestens jetzt, ist es an der Zeit für die politische
Opposition, die Deckung zu verlassen und sich auf dem Tahrir-Platz
oder wo auch immer hörbar zu artikulieren. Vorsicht war sicher
angebracht nach 30 Jahren Ausnahmezustand, nach Gefängnis und Folter
für politisch missliebige Geister – die selbstverständlich erst
zueinander finden und sich auf ein Minimalprogramm als
Sofortalternative zur herrschenden Militärdiktatur verständigen
müssen. Wie lange es die Organe des Staates – welche auch immer –
zulassen werden, dass sich Leute auf dem Tahrir-Platz politisch
äußern, weiß niemand. Aber das Zeitfenster dafür kann sich sehr
schnell schließen. Mit butterweichen Appellen und angstvoll
klingenden Selbstvergewisserungen, dass die Armee sich nie gegen das
Volk wenden werde (Mohammed al-Baradei), dürfte es nicht getan sein.

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