NRZ: China, der Zwergriese – ein Kommentar von PETER HAHNE

Die China-Reise der Bundeskanzlerin lässt sich in
symbolischer Hinsicht kaum überbieten: Das halbe Bundeskabinett und
20 Wirtschaftsführer reisen mit Angela Merkel nach Peking, um der
scheidenden und kommenden chinesischen Staatsführung ihre Aufwartung
zu machen. Das Signal der pompösen Konsultationen ist eindeutig.
Peking mag ein schwieriger Partner sein. Doch Menschenrechte, Syrien
oder Einparteien-Diktatur hin oder her – das Reich der Mitte ist
wichtig, und das vor allem dann, wenn es um die Handelsbeziehungen
und damit um die Herzkammer des deutschen Wohlstands geht.

Die Exporte in die Volksrepublik wachsen rasant. Bald schon könnte
China die USA als größten Exportmarkt außerhalb Europas ablösen. In
der Eurokrise haben die Chinesen mit ihren ungeheuren
Währungsreserven eine maßgebliche Rolle als europäischer
Staatsfinancier übernommen. Zöge sich Peking aus europäischen
Staatsanleihen zurück, um den Euro wäre es wohl geschehen. Und nicht
zuletzt produziert die chinesische Wirtschaft seit ihrer Öffnung zur
kapitalistischen Welt billige Konsumgüter, die hierzulande einen
materiellen Wohlstandsboom für breite Bevölkerungsschichten ausgelöst
haben.

Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Und leider jene, die
den oft bewundernden, ja unterwürfigen Blick vieler Europäer nach
Osten prägt. Europa braucht China, sicher. Genauso aber ist China auf
Europa angewiesen. Ohne Europa würde das chinesische Wachstumsmodell
nicht funktionieren. Es setzt auf Export, und diese Ausfuhren gehen
zum größten Teil eben nach Europa. Und China braucht Investitionen
und Know-how, beides kommt etwa von deutschen Automobilkonzernen. Ein
Blick auf Produktivität und Löhne, das krasse Stadt-Land-Gefälle und
natürlich die politische Situation in China zeigen: Die Volksrepublik
ist auf der Weltbühne längst ein Riese, gewiss. Andererseits aber
auch ein Zwerg, der noch gewaltige Probleme zu lösen hat, bis er sich
mit Europa messen kann.

Kein Grund also, vor Ehrfurcht zu erstarren. Etwas mehr
Selbstbewusstsein, vor allem bei der Ansprache von universellen
Werten und Menschenrechten, stünde uns Europäern gut zu Gesicht.   

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