NRZ: Europa schaut nach Karlsruhe – Leitartikel von RÜDIGER OPPERS

„Die Deutschen nehmen ihre Gerichte sehr ernst,
oder?“ – diese Frage richtete der französische Präsident Francois
Hollande vor Kurzem an die Kanzlerin. Sie dürfte genickt haben.
Deutschland nimmt vor allem das Bundesverfassungericht mehr als
ernst. Die Politik hat ihm zum Teil das Regieren delegiert. Seit 1951
hat das höchste deutsche Gericht wichtige Urteile gesprochen. Von
Parteienverbot bis Pendlerpauschale reichte das Spektrum. Am Mittwoch
sieht aber ganz Europa gespannt auf Karlsruhe. Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts über den Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM) wird weitreichende Folgen haben:
entweder für die deutsche Demokratie – oder für die Zukunft des Euro.

Sollten die Karlsruher Richter den Rettungsschirm für die
Gemeinschaftswährung klaglos durchwinken, wäre die Etathoheit des
Bundestags ausgehöhlt, Brüssel würde in Berlin mitbestimmen. Ein
kategorisches „Nein“ zum Rettungsschirm würde die Stabilität des Euro
und die Börsen ins Wanken bringen. Schon hört man aus der Union, das
Richterkollegium solle berücksichtigen, dass von seinem Urteil das
Schicksal Europas abhängt. Allerdings sind solche Erwägungen gar
nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, sondern allein der Schutz
unseres Grundgesetzes. Urteilt Karlsruhe, wie viele erwarten, mit
einem „Ja, aber“, ist damit die Euro-Krise längst nicht beendet.

Durch die Verpfändung von fast 200 Milliarden Euro an klamme
Nationen ist die Gemeinschaftswährung nicht zu retten. Der Euro
braucht neues Vertrauen. Selbst für Abgeordnete ist die europäische
Finanzpolitik undurchschaubar geworden, für Bürger erst recht. Was
jetzt in Brüssel bei nächtlichen Verhandlungen zwischen Fachministern
und Regierungschefs ausgekungelt wird, bedarf einer neuen und
transparenten Ordnung in einer europäischen Finanzregierung. Die
Entscheidung darüber sollten wir Bürger in einer Volksabstimmung
fällen – und nicht die Nebenregierung in Karlsruhe.

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