Der Machtkampf in der Ukraine ist vorerst
entschieden. Präsident Viktor Janukowitsch ist gestürzt, die
Machtfülle des künftigen Präsidenten beschnitten, und es wird
Neuwahlen geben. Die Gasprinzessin und Ikone des Westens, Julia
Timoschenko, ist frei. Ein Sieg auf der ganzen Linie für die
proeuropäischen Demonstranten und den Westen, so scheint es. Es ist
der ukrainischen Bevölkerung zu wünschen, dass das Blutvergießen
endlich beendet ist und ihr eine bessere Zukunft bevorsteht. Sicher
ist das nicht.
Eine mögliche Spaltung des von der Staatspleite bedrohten Landes
ist längst nicht abgewendet. Ob es ausgerechnet der in weiten Teilen
der Bevölkerung insbesondere im Osten verhassten Julia Timoschenko
gelingen kann, das Land zu versöhnen, ist mehr als fraglich. Die
Macht der Oligarchen ist noch immer ungebrochen. Ihnen ist es egal,
wer unter ihnen Präsident wird.
Zudem: Es ist irritierend, wie vorbehaltlos sich der Westen hinter
die Demonstranten in Kiew gestellt hat. Unter ihnen sind etliche
gewalttätige Nationalisten, deren Politikverständnis alles andere als
lupenrein demokratisch ist. Dass Vitali Klitschko, der Liebling des
deutschen Boulevards, gemeinsame Sache mit Oleh Tjahnybok, dem Führer
von Swoboda macht, war nie ein großes Thema. Nur zur Erinnerung:
Swoboda mag sich derzeit gemäßigt geben, ist aber eine Partei, die
der jüdische Weltkongress noch im vergangenen Jahr als neonazistisch
bezeichnete. Wenn die Opposition die Neuwahlen gewinnen sollte,
könnte auch Swoboda an der Regierung beteiligt sein. In diesem Fall
hätte die Intervention Deutschlands und anderer westlichen Staaten
dazu geführt, dass antisemitische, rassistische und
schwulenfeindliche Politiker an den Fleischtöpfen der Macht in der
Ukraine sitzen. Eine bizarre Vorstellung.
Wobei nicht ausgemacht ist, dass die Opposition den Urnengang
gewinnt. Ob der Osten der Ukraine nach den vergangenen Wochen
proeuropäischer denkt, darf bezweifelt werden: Für die Menschen dort
ist gerade ihr demokratisch legitimierter Präsident gewaltsam
gestürzt worden. Und dieselben europäischen Kräfte, die Russland noch
kürzlich der Erpressung der Ukraine bezichtigten, haben die Regierung
in Kiew selbst mit harschen Strafmaßnahmen unter Druck gesetzt.
Nicht zuletzt ist beunruhigend, wie sich das Verhältnis des
Westens zu Russland in den vergangenen Monaten entwickelt hat.
Libyen, Syrien, Ukraine: Das große Spiel um Marktzugänge und
geostrategische Einflussnahme ist derart konfrontativ geworden, dass
ein eisiger Hauch von Kaltem Krieg durch die Außenpolitik weht. Alles
kein Grund zum Jubeln.
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