NRZ: Kommentar zur Muslim-Studie von JAN JESSEN

Ein Viertel der hier lebenden nichtdeutschen
muslimischen Jugendlichen ist sehr religiös und hat kein Interesse
daran, sich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Dieser
Befund wirkt alarmierend; wie ein Indiz dafür, dass sich inmitten
Deutschlands eine Parallelgesellschaft verfestigt, in der sich eine
nennenswerte Anzahl junger Leute bedrohlich radikalisiert. Aber
erstens zeigt die Studie des Bundesinnenministeriums auch, dass der
weitaus größte Teil der muslimischen Zuwanderer sehr wohl bereit ist,
sich anzupassen. Zweitens ist Radikalität oft lediglich Ausdruck
jugendlichen Aufbegehrens und erschöpft sich mit dem Älterwerden.

Zudem stellt sich die Frage: Wer oder was ist denn diese
Mehrheitsgesellschaft, der sich Zuwanderer anpassen sollen? Diese
sogenannte Mehrheitsgesellschaft ist von immer tieferen Gräben
zerschnitten. Die Kluft zwischen Reich und Arm wächst. Einen
gemeinsamen Wertekanon gibt es, wenn überhaupt, nur noch
bruchstückhaft, die Entsolidarisierung nimmt zu, familiäre Strukturen
zerbröseln. Der Internatszögling aus reichem Elternhaus lebt in einer
anderen Parallelgesellschaft als der Hauptschüler, dessen Eltern
Hartz IV beziehen.

Und, nicht zu vergessen: Das Selbstbild einer Minderheit wird
nicht nur von Fernsehsendungen aus der alten Heimat geprägt –
sondern immer auch von den Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft. Und
die Realität sieht so aus: Ein Viertel der Deutschen lehnt die
Zuwanderung von Muslimen ab. Der Bau von Moscheen führt regelmäßig zu
bürgerlichem Aufbegehren. Spieler der Nationalmannschaft werden als
Deutschtürken bezeichnet. Parteien, die Menschen mit fremdländisch
klingenden Namen als Landtagskandidaten nominieren, müssen sich die
Frage gefallen lassen, warum sie keine Deutschen aufstellen. Das ist
alltägliche Ausgrenzung, die für Integration nicht eben hilfreich
ist.

Kein Vertun: Natürlich müssen sich Zuwanderer anpassen. Aber die
Mehrheitsgesellschaft muss ihnen eben auch das Gefühl geben,
willkommen zu sein. Ansonsten werden alarmierende Befunde auch in
Zukunft nicht ausbleiben.

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