NRZ: Kommentar zur Rettungspaket-Abstimmung von MIGUEL SANCHES

Für Griechenland macht es keinen Unterschied. Aber
in Berlin ist es ein Vorgang, wenn Angela Merkel in einer zentralen
Frage ihre „Kanzlermehrheit“ verliert. Das bedeutet: Sie war für das
zweite Griechenland-Paket auf die Stimmen von SPD und Grünen
angewiesen. Ihre Überzeugungskraft schwindet. Das erste Paket hatte
Merkel aus eigener Kraft stemmen können. Sie erlebt eine Erosion
ihrer Macht. Dazu passt auch, dass ihr eigener Innenminister den
Griechen den Austritt aus dem Euro-Raum nahegelegt hat. Es ist das
zweite Frusterlebnis binnen weniger Tage. Auch bei der Nachfolge von
Christian Wulff hatte die Kanzlerin Grenzen erfahren.

Die Griechenland-Entscheidung hat große Tragweite. Erstens ging es
um viel Geld, 130 Milliarden Euro, zweitens um eine Frage der
Haltung. Es war nicht so gedacht, aber so ist es gekommen: Wir sind
eine Transferunion und zahlen für Griechenland. Gestern war im
Bundestag relativ wenig vom dramatischen Ernst beim ersten
Rettungspaket zu spüren. Es klang fast wie eine beliebige Debatte.
Aber es war für die Abgeordneten offenkundig keine Routinesache.

Die Bürger werden es ihnen danken. Sie sind laut Umfragen gegen
die Griechenland-Hilfen. Die Parteien unterscheiden sich freilich nur
geringfügig. Daran ändert auch die Rede von Peer Steinbrück wenig. Er
brachte viel Kritik vor, um dann zum Ergebnis zu kommen, dass eine
breite Zustimmung doch im Interesse Deutschlands sei. Mit so einer
Opposition kann Merkel leben. Vor ihren Parteifreunden hätten man sie
eher schützen müssen. Merkel ist daran nicht schuldlos. Ihren Bürgern
schenkt sie reinen Wein in Schnapsgläsern aus, in kleinen Portionen.
Es rächt sich.

Ist der Austritt eine Option, wie Innenminister Friedrich meint?
Sein Timing war miserabel – seine Argumente sind es nicht. Ein
Austritt wäre im Interesse des Landes. Hätten wir die Milliarden
besser als Austrittshilfe zahlen sollen? Die Frage ist legitim.

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