NRZ: Plötzlich steht die Welt still – ein Kommentar von PETER TOUSSAINT

Plötzlich steht die Welt ganz still. Einen
Augenblick halten wir inne, getroffen von der Wucht der Tragödie. Mag
sein, dass wir in der Redaktion gestern ein wenig früher von dem
Absturz des Ferienfliegers erfahren haben als Sie. Aber die Reaktion
darauf wird ähnlich ausgefallen sein, wie bei allen, die gestern
davon hörten. Die Katastrophe, die sonst so weit weg von uns
geschieht, ist plötzlich ganz nah. Und sofort beginnen wir
aufgeschreckt nachzudenken, telefonieren mit der Familie, schicken
Fragen auf Handys: Machen die Nachbarn nicht gerade Ferien in
Barcelona? Hat die Tochter von Freunden nicht gerade die
Flugbegleiter-Ausbildung bei Germanwings abgeschlossen? Werden wir
gleich vom Tod geliebter Menschen erfahren?

Ja. Viele Menschen in unserer Nähe sind gestern mit dem Tod
konfrontiert worden. Ihre Verzweiflung ist nicht zu ermessen. Wer
Söhne, Töchter, Eltern, Geschwister und gute Freunde so unvorbereitet
verliert, den kann man nicht trösten. Welche Worte will man finden?
Es gibt sie nicht. Jetzt ist die Zeit für Tränen und für Trauer.
Später wird die Zeit kommen, wo die Hinterbliebenen Trost dringend
brauchen. Hoffentlich sind dann gute Menschen da, die ihnen zur Seite
stehen, die ihnen zuhören und sie in den Arm nehmen.

Später, nicht heute, wird dann die Zeit da sein, nach den Ursachen
zu fragen. Und nach Verantwortung. Nichts deutet darauf hin, dass
hier Terroristen am Werk waren. Gibt es vielleicht Hinweise, dass
dieses Unglück hätte vermieden werden können? Gab es nicht erst am
Samstag Berichte über technische Probleme bei Airbus-Flugzeugen?
Experten werden die Antworten geben. Vorschnelle Antworten verbieten
sich aus Respekt vor den Opfern und ihren Familien.

Wie lange steht unsere Welt wohl diesmal still? Wann gehen wir
diesmal zur Tagesordnung über? Da sind wir gut im Training, schieben
den Gedanken an die eigene Verwundbarkeit gerne zur Seite. Wir lesen
in der Zeitung von 3368 Menschen, die im vergangenen Jahr im
Straßenverkehr in Deutschland starben – und setzen uns trotzdem ans
Steuer. Es wird uns schon nicht erwischen! Wir lesen heute aufrichtig
betroffen über den Schmerz der Menschen in Haltern – und werden
trotzdem nicht den nächsten Flug nach Palma, Antalya, Rom oder
Barcelona stornieren. Am Freitag startet NRW in die Osterferien.
Vielleicht werden manche etwas stiller in den Urlaubsflieger steigen.
Demütiger.

Das Leben kann plötzlich zu Ende sein. Wir haben es nicht in der
Hand. Das ist uns gestern wieder klar geworden.

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