NRZ: Rot-Grün ist am Tiefpunkt – ein Kommentar von THEO SCHUMACHER

Im politischen Geschäft ist es der Normalfall, dass
eine Regierung zur Halbzeit der Legislaturperiode schlecht dasteht.
Die „Sauereien“, lautet ein Lehrsatz aus dem Handbuch für angewandte
Politik, sollte man sofort begehen, die Wohltaten sich für die Zeit
vor der nächsten Wahl aufheben. Die Regierung Kraft hat diese Lektion
in NRW nicht beherzigt. Zwar hat sie ihre Wähler weitgehend geschont,
dennoch ist sie nach zweieinhalb Jahren am Tiefpunkt angelangt.

Der Versuch, fehlendes Geld im Haushalt bei den Beamten
einzutreiben, war eine Ausnahme. Er ist vor Gericht gescheitert. Der
Finanzminister hat nun kaum noch Spielraum. Die aktuelle Erhöhung der
Grunderwerbssteuer, die zweite in drei Jahren, lässt erahnen, wie
groß seine Not ist. „Steine statt Brot“ – so predigte einst Peer
Steinbrück als Ministerpräsident ein rigoroses Spardiktat für
Nordrhein-Westfalen. Das Ende ist bekannt: Er wurde abgewählt.

Sicher, die heutige Situation ist mit 2005 nicht vergleichbar.
Trotz horrender Verschuldung investiert Rot-Grün unverändert
Euro-Milliarden in Bildung und vorsorgende Politik, will „kein Kind
zurücklassen“. Es ist Hannelore Krafts roter politischer Faden, aber
auch die einzige strategische Botschaft, mit der ihre Koalition
durchdringt. Dabei werden noch Jahre vergehen, bis sie wirklich
messbare Erfolge ernten kann.

Die Ministerpräsidentin konnte stets auf hohe Beliebtheitswerte
bauen. Sie „kommt an“, das bescheinigen ihr alle Umfragen. Eine
Garantie für morgen bedeutet das aber nicht. Dass Kraft kämpfen kann,
hat sie bewiesen, als sie die SPD in NRW fast im Alleingang aus
aussichtsloser Lage zurück an die Macht führte. Doch seither sind
fast fünf Jahre vergangen, und die Regierung zeigte zuletzt deutliche
Schwächen.

In der jüngsten Serie aus Pannen und Rückschlägen wirkte auch
Kraft mitunter seltsam defensiv und zu dünnhäutig. Die Opposition
hatte leichtes Spiel. Es ist bezeichnend, wenn sich der Innenminister
sogar von mittelmäßigem Fraktionspersonal in die Enge treiben lässt.
Vor einem Jahr hat sich die Regierungschefin auf Bundesebene aus dem
Spiel genommen, als sie eine mögliche Kanzlerkandidatur endgültig
abhakte. Auch wenn sie sich damit selbst ein Stück entmachtet hat,
war der Schritt nachvollziehbar. Sie kann sich nun ganz um
Nordrhein-Westfalen kümmern.

Eine Aufgabe, die mit gebremster Kraft nicht zu schaffen ist.

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