NRZ: Wir brauchen rote Linien – ein Kommentar von JAN JESSEN

Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der
Vereinigten Staaten ist von Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und
Neonazis in ganz Europa begrüßt worden. Sein Sieg ist für sie einer
über die verhassten Eliten, zu denen sie neben dem politischen
Betrieb auch Meinungsforscher und die Presse zählen. Und es ist ja
so: Die Hälfte der amerikanischen Wähler hat dem Establishment den
Mittelfinger gezeigt. Diejenigen, die ihn gewählt haben und
diejenigen, die jetzt in Europa jubeln, interessiert es nicht, dass
Trump immer und immer wieder der Lüge überführt wurde. Es ist ihnen
egal, dass er ein bekennender Frauenbegrabscher ist (er ist ja kein
Flüchtling) und dass er nahezu jede Minderheit beleidigt hat. Fakten
und Moral sind für sie irrelevant. Nach der Wahl gehen Journalisten
und Politiker in Sack und Asche. Man habe, so lautet der Tenor
vielerorten, den Abgehängten und Benachteiligten in der Vergangenheit
nicht richtig zugehört. Man müsse auf sie zugehen, ihre Sorgen und
Nöte ernst nehmen. Das ist erstens schon geschehen. Immer und immer
wieder ist über die Schieflage der Globalisierung geschrieben worden,
über das Abschmelzen der Mittelschicht, über die Probleme die
beispielsweise eine Hartz-IV-Gesetzgebung in Deutschland
hervorgerufen hat. Zweitens wird ein auch noch so genaues Zuhören,
ein noch so großes Verständnis kaum etwas am Aufstieg von Populisten
ändern. Es ist ihre Zeit. In die virtuellen Resonanzräume, in denen
heute Meinungen gebildet werden, dringen klassische Medien oder
etablierte Politik kaum mehr ein. Wo Wahn und Wut mehrheitsfähig sind
und den Diskurs bestimmen, kann Empathie genauso wenig wie
faktenbasierte Berichterstattung oder Appelle an die Moral
ausrichten. Es kann deswegen nicht darum gehen, sich immer mehr zu
verbiegen, um gefällig zu werden. Für Sexismus, Rassismus und
Homophobie, für Ausgrenzung und Hass darf es kein Verständnis geben.
Politik und Medien müssen rote Linien ziehen, die nicht bei Bedarf
verschoben werden, sei es aus Angst vor politischer Konkurrenz oder
vor dem Verlust der eigenen Bedeutung. Ansonsten geht nicht nur die
eigene Glaubwürdigkeit verloren. Es würde dann auch die
Rückabwicklung gesellschaftlicher Errungenschaften drohen, um die
jahrzehntelang gerungen wurde und auf die die westliche Welt – zu
Recht – stolz ist. Die Zeit der Populisten wird irgendwann zu Ende
gehen. Die Gesellschaft sollte bis dahin ihren Anstand und ihre Würde
nicht verloren haben.

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