Ostsee-Zeitung: Kommentar zum Treffen von Merkel und Hollande auf der Insel Rügen

Wenn das Wetter gestern auf Rügen etwas zu
bedeuten hatte, dann beschrieb es geradezu symbolhaft den derzeitigen
Zustand der deutsch-französischen Freundschaft: wolkenverhangen und
regnerisch-trüb. Selbst das charmante Lächeln von Staatspräsident
François Hollande und die herzliche Gastfreundschaft von
Bundeskanzlerin Angela Merkel konnte nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die engste staatliche Zweierbeziehung, die Europa kennt, an
Strahlkraft verloren hat. Während Deutschland als wettbewerbsfähigste
Nation des Kontinents mit sich selbst im Reinen scheint, gilt
Frankreich als „kranker Mann Europas“, der nicht ganz zu Unrecht über
die „deutsche Export-Dominanz“ klagt. In der Tat: Das Wachstum
stagniert. Die Arbeitslosigkeit wächst und das Haushaltsdefizit
steigt. Hollande selbst gilt mit Zustimmungswerten unter 20 Prozent
als unbeliebtester Präsident der 1958 begründeten 5. Republik. Nach
Umfragen werden sogar die Rechtsextremen des Front National die
regierenden Sozialisten bei den Europawahlen abhängen. Mon Dieu! Was
tun? Lange glaubte Hollande, dass sich die Wirtschaft in erster Linie
durch Steuererhöhungen vor allem für Reiche sanieren lässt. Doch das
Kapital – begünstigt durch konkurrierende Steuersysteme in Europa –
ließ ihn und das Land im Stich. Inzwischen ist Hollande sogar bereit,
bittere Pillen zu schlucken und ein wenig zu „schrödern“ – sprich:
die deutsche Agenda-Politik zu kopieren. Frau Dr. Merkel wird ihn da
bestärken. Doch die Frage ist, ob das deutsche Rezept für
französische Mägen taugt. Hollande scheint kein Basta-Politiker zu
sein, der die Spaltung seiner Partei und den Bruch mit den mächtigen
Gewerkschaften riskiert. Zudem ist die Philosophie der französischen
Marktwirtschaft eine völlig andere: Frankreich ist noch immer eine
„gelenkte Volkswirtschaft“, in der der Staat der größte
Industrie-Player ist. Ein starker Mittelstand fehlt, und eine
flexible Tarifpartnerschaft ist nahezu unbekannt. Hollande weiß, dass
eine Rosskur die Wirtschaft zwar von der Krankheit namens Rezession
befreien könnte. Doch er fragt sich auch: Wer kuriert die Franzosen
anschließend von der Kur?

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Jan-Peter Schröder
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