Ostthüringer Zeitung: Alle konnten alles wissen. Wer die Jahresabschlüsse der insolventen Stadtwerke Gera AG las, konnte schon 2006 von Risiken lesen, die jetzt eingetreten sind.

„Davon habe ich nichts gewusst.“ Auf diese Floskel
ziehen sich Politiker gern zurück, wenn es um die Insolvenz der
Stadtwerke Gera AG geht. Jeder schiebt die Schuld auf den anderen:
Doch über die schwierige wirtschaftliche Lage waren sie alle
informiert – zumindest, wenn sie die öffentlich verfügbaren
Lageberichte gelesen haben. Das berichtet die Ostthüringer Zeitung
(Mittwochausgabe).

Das Handelsgesetzbuch schreibt vor, dass mittelgroße und große
Kapitalgesellschaften jährlich einen solchen Bericht fertigen müssen,
der im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Oberstes Ziel dabei: die
Information der Öffentlichkeit, zu der zweifelsohne auch die
Stadträte in Gera zählen. Bei verantwortungsvollem Umgang mit diesen
Informationen hätten sie die Weichen politisch wohl anders gestellt.
Absehbar war nämlich schon viele Jahre, dass das Rezept der
Quersubventionierung nicht aufgeht.

So zeigt der Jahresabschluss 2006 im Kapitel „Risiken der
künftigen Entwicklung“ eine interessante Aufstellung. Das
Risikomanagement-System der Stadtwerke-Holding gebe für alle
Beteiligungen einheitliche und verbindliche Richtlinien vor, heißt es
darin: „Damit werden auch in Zukunft alle Risiken, die die
Vermögens-, Finanz- und Ertragslage potenziell bedrohen könnten,
systematisch erfasst und bewertet. Gleichzeitig ist sichergestellt,
dass frühzeitig Präventivmaßnahmen ergriffen werden, um nicht
vermeidbare Risiken zu begrenzen.“

In den darauffolgenden Einschätzungen sind bis auf die
Sonderabschreibung des Kraftwerkes wegen den erneuerbaren Energien
alle Risikofaktoren enthalten, die zur wirtschaftlichen Schieflage
führten.

Die allgemeinen Risiken sind noch leicht herzuleiten. Dass Gera an
Einwohnern verlieren wird und starker Wettbewerb in allen
Dienstleistungssektoren herrscht, überrascht nicht.

Interessant werden die Prognosen für die Energiesparte. Die
Chefetage befürchtete eine Senkung der Netznutzungsentgelte Strom
und Gas durch die Bundesnetzagentur, Preisanstiege für die
Beschaffung von Erdgas oder den Rückgang der Verkaufserlöse für Gas
durch erzwungene Preissenkungen der Kartellbehörden. Und auch
Liquiditätsbelastungen aus der Finanzierung des Kraftwerkskaufs
werden vorhergesagt.

Für den Geraer Verkehrsbetrieb standen als Risiken sinkende
Fahrgastzahlen und verminderte Erstattungen von Fahrgeldausfällen
für die Beförderung Schwerbehinderter im Papier, was beides eintrat.
Auch die Verzögerung von Investitionen ist aufgeführt.

Für die Wohnungsbaugesellschaft Elstertal warnte der Vorstand vor
der Entwicklung des Wohnungsmarktes und damit einhergehend vor
Leerstand und Überkapazitäten – beides Probleme, die heute zum
niedrigen Mietniveau und entsprechend geringen Margen führen.

Deutlich fielen auch die Einschätzungen für die Konzernmutter aus.
So analysiert der Vorstand, dass die Ergebnisentwicklung ungewiss sei
wegen „der branchenspezifischen Risiken der Tochterunternehmen“.
Zudem könne Fremdkapitalbedarf bei der Aktiengesellschaft für
Verlustausgleichszahlungen an Tochterunternehmen entstehen. Auch wird
bereits thematisiert, dass der Konzern von Verlustausgleichzahlungen
der Stadt Gera abhängt. Sollten diese ausbleiben, könnten sich
Liquiditätsengpässe ergeben.

Als Hauptgefahr wurden bereits 2006 weiter sinkende Erlöse der
Energieversorgung Gera eingestuft, schreibt die Ostthüringer Zeitung.
Spätestens jetzt mussten alle Alarmglocken läuten, weil die
Stadtwerke schon 2006 rote Zahlen in Millionenhöhe geschrieben
haben. Die Energieversorgung Gera erwirtschaftete zwar 2,7
Millionen Euro Plus. Davon stand aber dem Minderheitsgesellschafter
fast die Hälfte zu. Der Nahverkehr benötigte hingegen 4,2 Millionen
Euro Zuschuss.

Auch die Planungen für 2007 gingen bereits von einem Fehlbetrag
für die Holding aus. „Im Hinblick auf die derzeit geplanten
Ergebnisse der Unternehmensbeteiligungen und die Liquidität der
Aktiengesellschaft ist der Fortbestand der Stadtwerke Gera AG
mittelfristig nur mit finanzieller Unterstützung der Gesellschafterin
Stadt Gera sichergestellt“, heißt es.

Dabei lebten die Unternehmen von der Substanz, weil keine
ausreichenden Rücklagen für Investitionen gebildet wurden und diese
fortwährend auf Pump finanziert werden mussten. Den richtigen Schluss
haben aber weder die Aufsichtsräte noch der Stadtrat gezogen: Die
gewinnbringenden Stadtwerke-Unternehmen verfügen nicht über die
wirtschaftliche Kraft, kommunale Aufgaben wie den Nahverkehr
kostenneutral für die Stadt zu finanzieren. Die Konstruktion der
Verträge zwischen Holding und Tochterunternehmen führt zudem dazu,
dass die Stadtwerke AG die Bilanzverluste wie bei der
Sonderabschreibung aufs Kraftwerk ausgleichen muss. Die
Minderheitsgesellschafter profitieren hingegen anteilig von den
Überschüssen.

Doch welche Auswege bieten sich an, nachdem das Kind nun in den
Brunnen gefallen ist? Am klarsten ist die Lage für den Geraer
Verkehrsbetrieb: Die Stadt muss sich bekennen, wie viel sie in
Zukunft in einen leistungsstarken Nahverkehr investieren will. Das
ist die Grundlage für die Empfehlung des vorläufigen
Insolvenzverwalters zu den Fortführungschancen. Für den Flugplatz
Gera-Leumnitz soll sich ein privater Betreiber finden oder die
Gesellschaft wird abgewickelt. Ist die Zukunft der beiden
Verlustbringer geklärt, lässt sich leichter eine Lösung für die
Stadtwerke AG finden: Die übrigen Tochterunternehmen arbeiten
profitabel – nachzulesen im Bundesanzeiger.

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