Nicht alle Moskauer Argumente in der Krim-Krise sind
völlig haltlos. Die Verschärfung der Auseinandersetzung ist
überwiegend, aber nicht ausschließlich der russischen Führung und
ihren ukrainischen Handlangern anzulasten. Die Position des Westens
hat ebenfalls Schwächen. Das gilt auch für das Referendum, mit dem
die Ukraine sechs Jahrzehnte nach der Überschreibung durch
Chruschtschow die Halbinsel wieder verloren haben dürfte.
Keine Frage: Die Abstimmung war als Verfahren rechtswidrig: ohne
Beteiligung der Zentralgewalt in Kiew, unter massivem militärischem
Druck der Russen, begleitet von Einschüchterung und medialer
Austrocknung der tatarischen und ukrainischen Minderheit, und vor
allem ohne jeden Versuch, Probleme auf dem Verhandlungsweg zu lösen.
In der Substanz sieht die Sache indes anders aus: Auch eine
Abstimmung unter fairen Bedingungen hätte eine klare Mehrheit pro
Russland erbracht. Das Selbstbestimmungsrecht dieser Mehrheit
legitimiert in keiner Weise die Abspaltung, wie sie sich jetzt
vollzieht. Aber die Antwort des Westens auf das Problem der kulturell
gespaltenen Ukraine ist allzu schlicht: Bloß keine neuen Grenzen!,
lautet die Devise. Als ob dies Prinzip – meist aus guten Gründen –
nicht nach dem Krieg immer wieder verletzt worden wäre: Saarland,
Tschechoslowakei, Jugoslawien. Derzeit drängt es Schotten, Katalanen
und Flamen aus ihrem staatlichen Gehäuse. Man kann nicht solche
Bestrebungen als unerfreulich, aber legitim behandeln, solange sie im
Westen des Kontinents stattfinden, sie im Osten hingegen zum Tabu
erklären.
Auf die kulturelle Doppelgestalt der Ukraine hat der Westen nur
eine Antwort gehabt: Es sei doch für die Ukrainer, auch auf der Krim
und im Osten, viel besser, wenn sie ihre Zukunft in Anlehnung an den
Westen suchten. Das wird so sein, ändert aber nichts daran, dass es
die freie Entscheidung der Ukrainer bleiben muss, wohin sie sich
wenden. Dieser Freiheit jetzt noch, nachdem sie von Putin
missbraucht wurde, einen angemessenen Raum zu verschaffen, ist schwer
bis unmöglich.
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