Frankfurt am Main, 21. August 2025 – Die politische Polarisierung hat im weltweiten Durchschnitt einen historischen Höchststand erreicht. Dies geht mit verstärkter politischer Gewalt und unvorhersehbaren Schwankungen in der Regierungspolitik vieler Länder einher und stellt auch Unternehmen vor neue Risiken. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle Political Risk Index von Willis, einem Geschäftsbereich des globalen Risikoberatungs- und Maklerunternehmens WTW. „Polarisierung und Populismus nehmen sowohl in den USA und Europa als auch in den Schwellenländern zu“, sagt Silja-Leena Stawikowski, Senior Account Manager Special Risks bei Willis. „Für Betriebe ergeben sich daraus eine Reihe von Risiken.“
Der halbjährlich erscheinende Political Risk Index befasst sich in der aktuellen Ausgabe mit politischer Polarisierung weltweit sowie deren Hauptfaktoren und Folgen: „Polarisierung mag nicht so offensichtlich bedrohlich wirken wie der Ukrainekrieg oder so unmittelbar wirtschaftlich spürbar wie Zollveränderungen“, erklärt Stawikowski. „Doch sie ist persönlicher – das erschwert nicht nur die Risikobewertung und Schadenvermeidung für Unternehmen, sondern beeinflusst auch das Miteinander, etwa in Belegschaften, unter Geschäftspartnern oder in Netzwerken.“
Der Report stellt fest, dass Menschen gegenüber Mitgliedern gegnerischer politischer Parteien oder Gruppen in steigendem Maße feindselige Gefühle entwickeln. Diese Art der „affektiven Polarisierung“ ist insbesondere seit dem Jahr 2000 stark angestiegen und erreicht 2025 einen historischen Höchststand (Abb. 1). „Für Unternehmen rückt damit das Thema Polarisierung unter den politischen Risiken auf Platz zwei vor – direkt hinter dem geostrategischen Wettbewerb zwischen rivalisierenden Großmächten“, so Stawikowski.
Länder, in denen gewaltsame politische Konflikte ausgetragen werden, sind in der Regel am stärksten polarisiert – aber im Durchschnitt nimmt die affektive Polarisierung in Demokratien derzeit am schnellsten zu: Betroffen sind nicht nur die Emerging Markets wie Brasilien, Indien, Peru oder Südafrika, sondern auch etablierte Demokratien wie Deutschland, Spanien oder die USA.
Weitere Kernergebnisse des Political Risk Index
Für die Erkenntnisse zur Polarisierung haben Risikoexperten die Daten von mehr als 200 Ländern aus einem Zeitraum ab 1900 analysiert:
•In Demokratien folgten Polarisierungsschübe in der Regel auf Wirtschaftskrisen oder Korruptionsskandale – dies ging häufig mit dem Erstarken populistischer politischer Bewegungen und einer Zunahme politischer Gewalt einher.
• Der höchste Grad an affektiver Polarisierung ist weltweit in Ländern zu verzeichnen, in denen der politische Wettbewerb entlang ethnischer oder religiöser Linien verläuft.
• Lang regierende Politiker und umstrittene Populisten wirken in Ländern wie Pakistan, Tunesien oder Thailand zunehmend spaltend.
• Geopolitische und außenpolitische Differenzen können ebenfalls zu einer Polarisierung der Gesellschaft führen.
Länderrisiken konkret bewerten
Der Political Risk Index enthält darüber hinaus politische Risikoprofile und -bewertungen für 40 Schwellenländer und -regionen. „Politische Unsicherheit betrifft viele Länder und quasi jedes Unternehmen“, so Stawikowski. Ein Blick auf beliebte Ausweichmärkte wie Indien oder Mexiko zeigt beispielhaft, dass Firmen sich schützen müssen, gleich in welcher Region sie Handel betreiben:
Wie Unternehmen umdenken müssen: 2 Beispiele
Indien gehört zu den aufstrebenden Wirtschaftsnationen, mit einer jungen Bevölkerung, vielen Talenten sowie wirtschaftlichem Wachstum und Investitionen. Vielen Unternehmen gilt das Land bereits als Ausweichmarkt, um sich unabhängiger von China zu machen. Laut Political Risk Index gibt es jedoch zahlreiche Entwicklungen, die für Firmen zum Problem werden könnten: So erlebt Indien eine massive Zunahme an Spaltung entlang politischer, religiöser, sprachlicher und ethnischer Linien. Auch in Mexiko haben die steigende Ungleichheit und ein populistischer Führungsstil der Regierung eine polarisierte Gesellschaft geformt, in der politische Gegner nicht nur als Meinungsgegner, sondern als verfeindete Gruppen wahrgenommen werden.
Im wirtschaftlichen Bereich lösen in diesen Ländern beispielsweise eine hohe Schuldenquote, potenzielle Kapitalabflüsse, eine volatile Währung oder mögliche Handelsrestriktionen Unsicherheiten aus.
„Aus der Analyse zahlreicher Länder ziehen wir den Schluss, dass auch im bislang attraktiv wirkenden Markt Vorsicht geboten ist“, sagt Stawikowski. „Ob internationaler Mittelstand oder Großkonzern – Unternehmen müssen lernen, dass eine vorausschauende Risikoanalyse in allen Ländern zwingend zu ihrer Risikostrategie gehören muss.“
Versicherbare Schäden durch politische Gewalt infolge zunehmender Polarisierung
Organisationen stehen vor wachsenden Herausforderungen, wenn sie in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft agieren. Doch sie haben Möglichkeiten, sich abzusichern: „Gewalt, Bürgerkrieg, innere Unruhen – das sind die klassischen Risiken, bei denen eine Versicherung gegen politische Risiken greift“, so Stawikowski. „Trotz wachsender Nachfrage sind risikoangemessene Prämien möglich – dank verfügbarer Kapazitäten und neuer Anbieter.“ Auch die Nachfrage nach Finanzierungsinstrumenten wie Bürgschaften und Garantien zur Unterstützung internationaler Geschäftsaktivitäten wachse deutlich.
Firmen müssen deshalb proaktiv die Vermögenswerte ihrer ausländischen Tochtergesellschaften sowie Joint Ventures gegen politische Risiken absichern. Laut Index treten neben makroökonomischen und politischen Entwicklungen zunehmend auch staatlich induzierte Risiken auf. Diese äußern sich unter anderem in potenziellen Enteignungen, eingeschränktem Zugang zu Finanzierungsmitteln oder regulatorischen Eingriffen mit schwer kalkulierbaren Folgen.
Dabei sind nicht nur Sachschäden relevant: Auch nicht-physische Schadensszenarien wie plötzliche (nachträgliche) Steuerforderungen, Lizenzentzug, gezwungene Geschäftsaufgabe, Einschränkungen bei Kapitaltransfers oder die Blockierung von Geschäftsaktivitäten durch administrative Maßnahmen seitens des Staates können erhebliche Auswirkungen auf die Geschäftskontinuität und Reputation eines Unternehmens haben.
Stawikowski: „Unsere Welt im Wandel ist nicht planbar – eine gute Absicherung schon.“