Remmel: ?Wir brauchen klare Reduktionsziele für den Antibiotika-Einsatz in der Tiermast?

NRW kündigt Studien über den Antibiotika-Einsatz bei Puten und Schweinen an

Die NRW-Landesregierung hat erneut politische Konsequenzen aus dem massiven Einsatz von Antibiotika in der Tiermast gefordert. „Wir haben ein massives Antibiotika-Problem in Großmastanlagen“, sagte der nordrhein-westfälische Verbraucherschutz- und Agrarminister Johannes Remmel zum Auftakt der Grünen Woche in Berlin. Dies sei nicht nur das Ergebnis der bundesweit ersten Studie zum Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast, die NRW im November präsentiert hat. Auch Untersuchungen des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) und des BUND zeigen, dass die Belastung mit multiresistenten Keimen auf Lebensmittel keine Ausnahmen sind. „Wir brauchen eine durchgängige Transparenz der Handelswege vom Hersteller bis zur Anwendung im Tierstall“, so Remmel. Neben dieser Transparenz müsse es zudem einen konkreten Fahrplan geben, wie der Antibiotika- Einsatz innerhalb weniger Jahren deutlich gesenkt wird. Remmel: „Dafür brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen aus Transparenz, klaren Minimierungszielen und gesetzlichen Regeln. Ich fordere Bundesministerin Aigner daher auf, endlich ihre Klientelpolitik zugunsten der Geflügelwirtschaft aufzugeben.“ Zudem kündigte Minister Remmel Studien über die Behandlungen von Puten und Schweinen mit Antibiotika an.

Die Bundesländer haben gestern (18. Januar) gemeinsam Bundesministerin Aigner aufgefordert, gemeinsam ein verbindliches nationales Konzept zur Minimierung des Antibiotika-Einsatzes zu erstellen. Darüber hinaus setzte sich NRW mit weiteren Forderungen durch:

1. Änderung des Arzneimittelgesetzes und der DIMDI-Verordnung mit dem Ziel der vollständigen Transparenz der Vertriebswege von Tierarzneimitteln bis hin zur einzelnen tierärztlichen Hausapotheke.
2. Entwicklung eines bundeseinheitlichen datenbankgestützten Systems zur Erfassung des Antibiotika-Einsatzes in den Betrieben.
3. Rechtliche Verbindlichkeit der geltenden Leitlinien für den Einsatz von Antibiotika schaffen.
4. Festlegung von Antibiotika, deren Anwendung alleine der Humanmedizin vorbehalten sind.
5. Überprüfung des Dispensierrechts, das Tierärzten das Recht gibt, Arzneimittel an Tierhalter zu verkaufen.
6. Verbindliche Verankerung von Indikatoren (z.B. Therapiehäufigkeit) zur Einschätzung des Antibiotika-Einsatzes.
7. Verpflichtung der Tierhalter, im Rahmen wirksamer Eigenkontrollsysteme, bei hohem Antibiotika-Einsatz eigenverantwortlich mit einem Tierarzt ein Konzept zur Verbesserung der Tiergesundheit zu erstellen und dieses Konzept der zuständigen Kontrollbehörde auf Anforderung vorzulegen.
„Frau Aigner hat die NRW-Forderungen jetzt schwarz auf weiß ? und von allen Bundesländern. Sie muss jetzt endlich handeln, statt immer nur anzukündigen“, sagte Remmel. Am 15. November hat NRW als erstes Bundesland eine umfangreiche und vollständige Studie zum Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast vorgelegt. Das NRW-Verbraucherministerium hatte im Zeitraum Februar bis Juni 2011 insgesamt 962 Hähnchenmastzuchtdurchgänge aus 182 Beständen in NRW auf den Einsatz von antimikrobiellen Substanzen untersucht. Insgesamt wurden 96,4 Prozent der Tiere aus den untersuchten NRW-Betrieben mit Antibiotika behandelt;, lediglich bei weniger als 4 Prozent der Masthähnchen kam kein Wirkstoff zum Einsatz. Die antibiotikafreie Hähnchenmast ist demnach nur noch die Ausnahme.

Remmel: „Jahrelang ist von der Geflügelwirtschaft und der Bundesregierung aus Union und FDP immer wieder versichert worden, dass der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast nur die Ausnahme sei. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Antibiotika-Einsatz ist die Regel und gängige Praxis. Das wird sich auch nach den jüngsten Ankündigungen von Ministerin Aigner leider nicht ändern.“

NRW hat als Konsequenz aus der Antibiotika-Studie als erstes Bundesland eine Datenbank zum Einsatz von antimikrobiellen Substanzen in der Hähnchenmast gestartet. Tierärzte und Landwirte sollen hier Daten eingeben, wann und wie viele Antibiotika eingesetzt werden. Zudem hat NRW einen umfangreichen Forderungs- und Maßnahmenkatalog vorgestellt:

1.Nationaler Antibiotika-Reduktionsplan:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Nationalen Antibiotika-Plan mit festen Reduzierungszielen für den Einsatz von antimikrobiellen Substanzen vorzulegen. Dazu muss neben einer verbindlichen Vereinbarung mit der Geflügelwirtschaft auf einem Antibiotika-Gipfel auch ein Anreiz-System für die Landwirtschaft geschaffen werden, auf den Einsatz von Antibiotika zu verzichten.

2.Transparenz statt Verschleierung
Die Bundesländer brauchen Daten, um handeln zu können und Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Die Bundesregierung muss deshalb das Arzneimittelgesetz (AMG) und die entsprechende DIMDI-Arzneimittelverordnung ändern. Nur durch diese Änderung können Daten über die Abgabe von Antibiotika und anderen Stoffen mit pharmakologischer Wirkung durch die Arzneimittelhersteller und Großhändler an die einzelnen Tierarztpraxen den Ländern zur Verfügung stehen. Die jetzt angekündigte Änderung des AMG werden nicht dazu beitragen, die gewünschte Transparenz bei den Antibiotika-Strömen zu erreichen.

3.Verbindlichkeit von Leitlinien
Die NRW-Landesregierung fordert zudem die Leitlinien, mit denen der Stand der veterinärmedizinischen Wissenschaft beschrieben wird, rechtlich verbindlich zu verankern. Die Bundesregierung muss daher endlich den Entwurf einer Änderung der tierärztlichen Hausapothekenverordnung vorlegen, der die rechtlich eindeutige Verbindlichkeit vorsieht.

4.Risikoorientierte Überwachung
Die Erkenntnisse, die im Rahmen der NRW-Studie gewonnen wurden, müssen Eingang in die Risikobewertung und in die Betriebsüberwachung finden. Dabei soll das weitere Vorgehen eng mit den Überwachungsbehörden aus den Kreisen und kreisfreien Städten ? aber auch Länder übergreifend ? abgestimmt werden.

5.Schärfere Kontrollen in NRW
Das NRW-Verbraucherschutzministerium wird künftig die Antibiotikaanwendung im Rahmen der Ausstellung der Gesundheitsbescheinigung regelmäßig von den dafür zuständigen Amtstierärzten in den Kreisen und kreisfreien Städten überprüfen lassen. Insbesondere ist dabei die Einhaltung der vorgeschriebenen Anwendungszeiträume bei Antibiotika zu überprüfen. Gibt es Indizien für Verstöße, müssen die Amtstierärzte diesen konsequent nachgehen und nötigenfalls Bußgeldverfahren einleiten. Bei strafrechtlicher Relevanz des Verstoßes wird der Vorgang der Staatsanwaltschaft übergeben.

6.Stärkere Überprüfungen des Antibiotika-Einsatzes
Im Rahmen des risikoorientierten Ansatzes ist dabei auch der Arzneimitteleinsatz ausgehend von den tierärztlichen Hausapotheken und in den landwirtschaftlichen Betrieben durch die zuständigen Behörden verstärkt auf Plausibilität zu prüfen.

7.Tierschutz muss gestärkt werden
Neben der arzneimittelrechtlichen Würdigung muss auch der tierschutzrechtliche Aspekt in der Gesamtbewertung des Einsatzes von Antibiotika in der Hähnchenmast Berücksichtigung finden. Ergänzend zu den bisherigen Daten soll daher das LANUV die tierschutzfachlichen Kriterien durch eine gesonderte Abfrage bei den Kreisordnungsbehörden erfassen.

8.Prüfung neuer Lebensmittelkennzeichnungen
NRW prüft derzeit auch, ob ein Anreizsystem für die Betriebe geschaffen werden kann, weniger Antibiotika einzusetzen. In diesem Zusammenhang soll zudem geprüft werden, inwieweit eine Lebensmittelkennzeichnung „Mit/Ohne Antibiotika-Behandlung“ als Qualitätsmerkmal auf alle gehaltenen Tiere ausgeweitet werden kann, die ohne Antibiotika-Einsatz behandelt wurden.

9.Schutz der Umwelt vor Bioaerosolen

Es steht fest, dass Hähnchenmastanlagen Bioaerosole (d.h. Bakterien, Viren, Pilze etc.) emittieren. In welchem Umfang von Hähnchenmastanlagen auch multiresistente Keime in die Umgebung emittiert werden, soll Gegenstand weiterer Untersuchungen durch das LANUV werden, aus der ggf. auch eine Bundesratsinitiative hervorgehen kann.

Als weitere Reaktion auf den massiven Medikamenten-Einsatz sagte Minister Remmel auf der Grünen Woche, NRW werde weitere Studien über die Behandlungen von Puten und Schweinen mit Antibitioka erstellen. „Wenn es nur noch mit Antibiotika geht, dann ist für mich klar: Diese Art von Massentierhaltung wird aus rechtlicher und ethischer Sicht keinen Bestand haben können!“, betonte Remmel.

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