Osama bin Laden ist tot, ist selbst zum Opfer
der Gewalt geworden, die er über Tausende Unschuldige gebracht hat.
Seit einem Jahrzehnt, seit den mörderischen Anschlägen des 11.
September 2001 auf das World Trade Center, galt bin Laden mindestens
in der westlichen Welt als das personifizierte Böse – vor allem in
den USA, wo die schreckliche Wunde des „9/11“ nicht vernarben mochte,
solange der Drahtzieher dieses Massenmords nicht zur Rechenschaft
gezogen war. Man kann es den Amerikanern daher nicht verübeln, dass
sie den Tod des Mannes, der ihnen Feindschaft geschworen hat, so
emotional feiern. Es wäre sicher fragwürdig, die Liquidierung bin
Ladens als schieren Akt der Rache zu bejubeln. Aber für viele
Amerikaner geht es dabei um mehr als den billigen Triumph. In ihrem
Empfinden handelt es sich um einen moralischen Sieg. Ein Verbrechen
wurde gesühnt, das Böse besiegt. Darin steckt ja auch etwas Wahres:
Das Ende von bin Laden ist ohne Zweifel eine gute Nachricht für die
Welt. Nur wenige Monate vor dem zehnten Jahrestag der Anschläge von
New York entfaltet das blutige Ende des Terror-Paten eine enorme
symbolische und politische Wucht. Noch ist es viel zu früh, von einem
Sieg über den Terror zu sprechen. Im operativen Geschäft spielte der
Gründer des Netzwerkes al Qaida zuletzt praktisch keine Rolle mehr,
seinen Platz haben längst andere eingenommen. Möglicherweise löst
sein Tod zunächst sogar eine neue Welle der Gewalt aus. Aber was
zählt, ist das politische Scheitern bin Ladens. Er wurde in Teilen
der islamischen Welt zum Idol, weil er den Menschen Befreiung
versprach von westlicher Bevormundung, aber auch von der Gängelung
durch ihre eigenen korrupten Potentaten. Doch bin Ladens vorgeblich
„heiliger“ Krieg gegen den Westen brachte keine Erlösung, sondern
provozierte nur neue Gewalt und neues Leid – gerade auch unter
Muslimen. Osama bin Laden hat die Welt ein Jahrzehnt lang geängstigt.
Am Ende aber war er ein Entzauberter. Sein fanatischer Feldzug gegen
die „Ungläubigen“ hat den Menschen in der islamischen Welt nicht mehr
Freiheit gebracht, keine Sicherheit und keinen Wohlstand. Das Volk
hat den Kampf um ein besseres Leben jetzt in die eigene Hand
genommen. Dabei ist nicht von der Errichtung eines Gottesstaats die
Rede, sondern von Meinungsfreiheit, Menschenrechten und Demokratie.
Die Revolten in der arabischen Welt folgen nicht bin Ladens blutigen
Rezepten, sie orientieren sich an westlichen Werten. Schon bevor
amerikanische Soldaten ihn in seinem Versteck aufspürten, hatte der
Terror-Chef seinen Kampf verloren. Der Krieg, den er in schamloser
Berufung auf Allah anzetteln wollte, ist gescheitert. Nun muss es
darum gehen, auch seinen Jüngern nach und nach den Nährboden zu
entziehen. Mehr Gerechtigkeit und mehr Demokratie in der islamischen
Welt sind dafür das beste Mittel.
Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion
Telefon: (0211) 505-2303